Natürlich kann einer wie Tim Rice-Oxley nicht gut damit leben, dass seine Band Keane in eine Ecke mit Coldplay, Starsailor oder U2 gestellt wird. Schließlich ist er als Drummer und Hauptkomponist der Band stolz auf seinen Sound. “Individuell und authentisch” soll das zweite Werk “Under The Iron Sea” geworden sein, erklärt er selbstbewusst. Problem ist nur, wessen Alben sind das nicht?

Knapp zwei Jahre ist es her, als ihr mit eurer ersten Single “Somewhere Only We Know” gleich einen Hit verbuchen konntet. Mit allerlei Nebenwirkungen: Die Presse holte die Reverenzkeule heraus und sorgte damit für euren Missmut!
Tim: Die letzten zwei Jahre waren unvorstellbar. Keane gibt es seit mehr als zehn Jahren, und schon während der Schulzeit spielten Tom (Chaplin, Sänger), Richard (Hughes, Keyboarder) und ich zusammen in der Band. Plötzlich macht es boom, und du stehst da ganz oben. Darüber haben wir uns unfassbar gefreut. Natürlich ist es dann unvermeidbar, dass dich die Leute von der Presse (macht einen säuerlichen Gesichtsausdruck) aus Bequemlichkeit mit anderen Bands vergleichen. Sicher haben wir auf Grund unserer vielen Piano-Sound einiges gemein mit Coldplay oder Starsailor. Wer jedoch nur einen Moment genauer hinhört, wird merken, dass allein der schöne Gesang von Tom eine ganz eigene Atmosphäre schafft.

Euch wurde nach eurem Debüt “Hopes And Fears” oft vorgeworfen, ihr hättet nach dem Ausstieg eures Gitaristen 2001 nur deshalb keinen neuen gesucht, weil ihr als gitarrenlose Band mehr Aufmerksamkeit erregt als in der klassischen Bandbesetzung.
Tim: Das ist absoluter Quatsch. Nicht aus Kalkül, sondern vielmehr aus der Not heraus konnten wir keinen Ersatz akzeptieren. Wir hatten schon viel zu lange zusammengespielt, als dass ein neues Mitglied die Philosophie verstanden hätte. Daher haben wir eine Tugend daraus gemacht und die Möglichkeiten der modernen Technik genutzt.

Wohl wahr, so sind auf dem neuen Album “Under The Iron Sea” viel mehr Gitarren zu hören als noch auf eurem ersten Silberling. Wie kam es zum Einsatz?
Tim: Das sind keine Gitarren im klassischen Sinne. Auf unserer letzten Tour haben wir in Japan ein Keyboard aufgetrieben, das mehrere Instrumente originalgetreu ersetzen kann. Richard lernte sehr schnell, dies perfekt in Szene zu setzen, und ich verarbeitete die neuen Möglichkeiten in meinem Songwriting.


Bist du also immer noch alleinverantwortlich für die Entstehung der Songs?
Tim: In den letzten zwei Jahren hat sich viel getan. Tom und Richard bringen sich vielmehr ein als noch bei unserem Debüt. Deswegen würde ich auch behaupten, das neue Album ist demokratischer als alles was wir davor gemacht haben. (überlegt) Ich mag diesen Arbeitsprozess sehr, weil die Verantwortung nicht nur auf meinen Schultern lastet, sondern gleichmäßig innerhalb der Band verteilt ist. Ein Grund, weswegen ich “Under The Iron Sea” als ein sehr individuelles und authentisches Werk ansehe.

Die neuen Songs klingen wirklich sehr vielschichtig. Aber mal Hand aufs Herz, behaupten nicht alle Künstler, sie seien authentisch und ihr neuestes Werk ist ihr bestes?
Tim: Es wäre auch schlimm wenn nicht, oder? Ich meine, warum sollte ein Künstler oder eine Band eine Platte rausbringen, die sie nicht mögen? Daher kann ich deinen Vorwurf verstehen. Aber man darf Keane die Entwicklung nicht absprechen. Wir sind unglaublich gereift. Was nicht heißen soll, dass ich unser Debüt nicht mehr hören oder live spielen will. Es ist nur sehr naiv und zeigt nicht wirklich alle Aspekte von uns als Musiker und Menschen. “Under The Iron Sea” geht einen Schritt weiter und ich möchte behaupten, es zeigt uns in unserer ganzen Vielfalt.


Du bist also niemand, der den Privatmenschen vom Musiker trennen kann, bzw. will?
Tim: Wie soll das denn gehen?! Wenn ich auf der neuen Platte in den Songs persönliche Verluste und Hoffnungen verarbeite, meine ich damit natürlich auch die Privatperson Tim Rice-Oxley. (überlegt lange) Wir beide sitzen hier und reden über das neue Album von Keane. Ich möchte einen Kaffee haben und bekomme ihn sofort. Vielleicht müssten wir, wenn ich kein Musiker wäre, länger darauf warten?! Will heißen, dass ich durch die Band Keane auch privat ganz anders lebe als noch vor sechs Jahren im englischen Niemandsland. Wo soll also die Trennungslinie gezogen werden? Aus diesem Grund will und kann ich beides nicht trennen und von einem privaten Tim bzw. dem Musiker reden – beides geht für mich Hand in Hand.

Demzufolge müsstest du gerade in einer sehr traurigen Phase sein! Zumindest lassen das die Lyrics auf dem Album vermuten.
Tim: Ich fühle mich momentan sehr gut. Was die Lyrics angeht, die sind sehr autobiographisch und verarbeiten viel von dem, was uns in den letzten zwei Jahren so widerfahren ist. Es gib auf einer langen Tour, wie wir sie nach dem Debüt antraten, immer einige Unstimmigkeiten. Hinzu kommt, dass wir drei nicht besonders gut darin sind, Dinge, die uns stören, innerhalb der Band klar anzusprechen. Deswegen ist “Under The Iron Sea” stellenweise sehr direkt und offen, weil wir uns hier völlig ungezwungen zeigen können. (denkt kurz nach) Das klingt jetzt fast so, als hätten wir Probleme mit der Bandchemie, das ist aber nicht so, wir sind halt nur drei sehr zurückhaltende Menschen. Außer wenn es um Musik geht. Da sind wir sehr emphatisch. Deswegen wussten wir schon immer, wo es mit Keane hingehen sollte: Ganz nach oben. (lacht)

Tatsächlich klingt “Under The Iron Sea” wie das Werk einer Band, die von Anfang an wusste, was sie wollte: Die Stimme von Tom Chaplin und die leichtfüßigen Melodien stehen im Vordergrund, die Lieder wirken trotz des Pianos nie überfrachtet. Es ist das Werk einer eingeschworenen Gang, die entgegen allen Behauptungen spätestens jetzt ihren eigenen Stil gefunden haben dürfte. Ein Sound jenseits der gängigen Rock’n’Roll-Klischees.