Das Schöne am Kino ist ja bekanntlich, dass es eigentlich nichts gibt, was nicht geht. Da kann ein gerade verstorbener Ehemann am nächsten Morgen wieder lebendig sein, eine Ratte zum Sternekoch werden oder auch nur ein sprödes Thema wie das Gesundheitssystem behandelt werden (alles momentan auf unseren Leinwänden). Aber auch hinter der Leinwand scheint manchmal fast alles möglich zu sein: Computerzauberer erwecken riesige Autoroboter, Heerscharen von Piraten und gelbe Zeichentrickfamilien zum Leben, junge deutsche Kerle lassen sich von Hollywood-Geld verführen und manchmal gelingt auch ein paar Studenten mit ’ner Handkamera ein Millionenerfolg (erinnert sich noch jemand an „Blair Witch Project“)?
Dass das Land der unbegrenzten Möglichkeiten gleich im Kino um die Ecke liegt, lässt sich auch diese Woche wieder beobachten. So spricht beispielsweise überhaupt nichts dagegen, dass ein ehemaliger Radiomoderator, der manchen heutzutage als Deutschlands lustigster Filmemacher gilt, mal eben die vermutlich teuerste Animationskomödie Deutschlands gedreht hat. Wobei „mal eben“ vielleicht ein wenig übertrieben ist, denn „Lissi und der wilde Kaiser“ wurde von Michael „Bully“ Herbig ja schon vor einigen Jahren angekündigt. Warum der Mann mit den Anführungszeichen im Namen seine Sissi-Parodie als Zeichentrick angelegt hat, ist allerdings nach wie vor rätselhaft. Denn die Lissi-Sketche mit Bully in Drag damals in der „Bullyparade“ sahen hundertmal witziger aus als das unbeholfen aussehende Animationspersonal jetzt auf der Leinwand. Aber wie gesagt: der Mann ist jetzt Filmemacher – und die können eben machen, was sie wollen.
Wahrscheinlich zieht es deswegen auch so viele fachfremde Arbeiter hinter die Kamera. Hardrocker Rob Zombie hat sich ja beispielsweise schon fest als Filmemacher etabliert, auch wenn seine ersten beiden Horrorfilme vor allem ein kleines Kultpublikum erreicht haben. Trotzdem hat er schon genug Selbstbewusstsein (und geschickt kalkulierende Produzenten im Rücken), um sich nun mit „Halloween“ einen echten Klassiker des Genres vorzunehmen. Im Grunde erzählt er die gleiche Geschichte wie damals in den Siebzigern John Carpenter, nur dass er sie noch um das Kapitel der ach so schrecklichen (und alles erklärenden) Kindheit von Michael Myers bereichert. Ob das sein muss, ist eine gute Frage, aber auf jeden Fall wollten es in den USA so viele Menschen sehen, dass Herr Zombie nun auch einem richtig breiten Publikum als Regisseur bekannt ist.
Ebenfalls aus ganz anderen Gefilden kommt Eric-Emmanuel Schmitt, der bisher vor allem als Autor von Theaterstücken und Romanen wie „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Korans“ bekannt ist. Nicht nur in seiner französischen Heimat, sondern Dank Elke Heidenreich auch bei uns. Obwohl er die Verfilmung von besagtem Roman eigentlich sehr gerne mochte, möchte der Schriftsteller nun trotzdem allen zeigen, wie es noch besser geht und bringt seine neue Geschichte „Odette Toulemonde“ gleich selbst auf die Leinwand. Er hätte es, ehrlich gesagt, lieber lassen sollen. Denn nicht nur ist die Story von der kitschverliebten Verkäuferin und ihrem Lieblingsautor ziemlich trivial und langweilig, sondern in Schmitts Inszenierung auch noch ausgesprochen unsouverän umgesetzt.
Dann doch lieber einen zweieinhalb Stunden langen Western drehen, der eher wie eine bildgewaltige Meditation als wie die altbekannte Geschichte eines legendären Wild West-Ganoven wirkt. Auch das ist im Kino möglich und genau das hat Andrew Dominik gemacht, unter dem ebenso schlichten wie originellen (und vor allem unendlichen) Titel „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“. Brad Pitt ist Jesse James vielleicht so gut wie nie, aber das Augenmerk bitte ich vor allem auf Casey Affleck als Feigling Robert Ford zu richten. Bens kleiner Bruder ist ein verdammt guter Schauspieler – was er übrigens auch in ein paar Wochen in „Gone Baby Gone“ beweisen wird, zu dem ich ihn dann auch im Interview spreche.
Um aber noch kurz bei weiteren ungewöhnlichen Filmideen zu bleiben: warum nicht mal 90 Minuten lang zwei Menschen in einem Hotelzimmer beim Reden, Rauchen und Vögeln zuschauen? Klingt vielleicht erst einmal nicht so aufregend (oder doch? Die Sexszenen sind jedenfalls nicht ohne!), doch der chilenische Film „En la cama“ ist eine gut gespielte Entdeckung – und nebenbei auch ein überzeugendes Plädoyer für den One Night Stand.
Ganz ähnlich schlicht und unaufgeregt kommt auch „Solange du hier bist“ aus Deutschland daher. Der Kölner Kunsthochschüler Stefan Westerwelle erzählt die nicht eben neue Geschichte vom alten Mann und dem Stricher völlig ohne Klischees, bemerkenswert zärtlich und vor allem unendlich traurig. Schade nur, dass diese tollen kleinen Filme im Kino vermutlich keine wirkliche Chance haben, sich gegen Bullys alberne Prinzessin durchzusetzen. Aber wer weiß, wir bleiben einfach optimistisch. Im Kino ist schließlich alles möglich!
Patrick Heidmann
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