Amerika ist müde. Falsche Politik ist dort nicht mehr Motor für kreativen Protest. Jimmy Hendrix, Janis Joplin, ja sogar ganz Woodstock wären ohne den
Vietnamkrieg nicht denkbar gewesen. Keine freie Liebe, keine E-Gitarren-Feedbacks ohne den unnötigen Tod im Mekong-Delta. Aber wozu führt das Sterben
im Zweistromland und am Hindukusch?

Amerikas Künstler fliehen vor der amerikanischen Realität. Die einen singen wie Koufax ehrlich und ironisch „We Colour Us Canadian“, andere wie Arcade
Fire ziehen da gänzlich hin und die, die bleiben, klingen ähnlich wie die Killers, nämlich britischer als so manche britische Band. Amerikanische Musik kommt heutzutage zumeist aus Kanada. Einzig im Bereich der Black Musik, die aus falsch verstandener, Amerikanischer ’Political Correctness’ dort nicht „schwarz“ sondern „städtisch (urban)“ genannt werden muss, regt sich ab und an künstlerischer Widerstand gegen Amerika, das Amerika dieser Tage. Der Amerikanische Talkmaster Jimmy Kimmel bekommt zwar wesentlich mehr und hochkarätigere Stars vor die Kamera und ins Tonstudio, wenn er mit „I Am
Fucking Ben Affleck“ einen Songs aufnimmt, um auf eine Video-Provokation seiner Freundin zu reagieren (unbedingt anschauen wer das noch nicht gesehen
hat – sensationeller Trash!) aber auch Will.i.am gelang es, den ein oder anderen zur Teilnahme zu bewegen, als er Barack Hussein Obamas „Yes we can“ vertonte.
Obamas Stimme schwillt an und die Hand weist samt Zeigefinger gen Himmel. Nach einer bedeutungsvollen, aber sehr kleinen Pause setzt er mit „We Can“ fort, Will singt und der Zeigefinger tippt im Takt. Es ist einer der Schlüsselsätze und Kernszenen dieses Wahlkampfes. Obama hat nicht wirklich viel zu sagen, aber das tut er mit Inbrunst und guter musikalischer Unterstützung.

In Amerika kennt man eher die eigene, denn die Weltgeschichte. Das war eigentlich schon immer so. Vielleicht wäre einem sonst aufgefallen, dass es Demagogie und Populismus im Wahlkampf schon vielfach gegeben hat, dass es nicht das erste mal ist, dass aus einzelnen Kandidaten plötzlich eine ganze Bewegung wird. Ich erinnere mich an die Wahlkampfdokumentation aus meiner Schulzeit: „Ja“, Hand nach oben und Pause, „wir“, deutlich gerolltes R und Faust auf die Brust, „werden es schaffen,“ Hand schnellt gen Himmel – genau so hat es ein anderer Populist das im Jahre 1933 mit Erfolg gemacht. Natürlich ist Obama nicht Adolf Hitler, aber er teilt mit ihm einige dramaturgische Mittel, wenn auch seine Gestik deutlich verhaltener ist. Und natürlich ist es brandgefährlich, wenn da jetzt schon wieder einer von „europäischen Feiglingen“ poltert, die sich im Norden Afghanistans verschanzen würden, während die USA und ihre englischen Freunde (Obama vergisst, dass auch die Europäer sind) die Drecksarbeit machten. So scharf kommt das sonst nicht einmal von Bushs aktuellen Verteidigungsminister Gates.

Es sind die Polls, die Obama treiben. Momentan sagen die Meinungsumfragen: „Raus aus dem Irak und härter zuschlagen in Sachen Taliban“. Was werden sie morgen sagen, wer ist dann der Feind und das Opfer? Hillary Clinton und McCain haben im Vergleich zu Obama eine Position. Gerade das macht es ihnen im Amerikanischen Wahlkampf nicht immer leicht. McCain weiß als dekorierter, zusammengeschossener Vietnamveteran, was Krieg bedeutet und hat aus seiner Haltung auch nie einen Hehl gemacht. Das hat ihn bei den Republikanischen Vorwahlen 2004 gegen Bush scheitern lassen. Wenn die Wahl lediglich zwischen ihm und Obama bestünde, würde ich McCain wählen. Egal ob Clinton, der urban Kandidat (um in der Diktion der amerikanischen Popmusik zu bleiben) oder McCain, die Luft ist raus. Das amerikanische Jahrhundert ist vorbei. Hat ja auch lang genug gedauert. Europa muss nun höllisch aufpassen. Rom hatte seine Kultur auch von der älteren Hochkultur Griechenlands entliehen, aber als Rom fiel, fiel die griechische Kolonie gleich mit. Wir sollten wacher sein als Amerika und ja, das können wir!

Mit besten Grüßen aus Toronto
Tim