Wir stehen im Backstagebereich des Hurricane-Festivals und warten auf Vigilante Carlstroem, Nicholaus Arson und Dr. Matt Destruction. Die uns zugedachten drei Fünftel der Hives verursachen gemeinsam mit den eine Kabine weiter sitzenden Howlin’ Pelle Almqvist und Chris Dangerous den mit Abstand größten Medienrummel des Wochenendes, und werden bereits seit dem frühen Morgen im halbstündigen Rhythmus von wechselnden Fragestellern beackert.
Anlass ist die Veröffentlichung des in gewohntem Understatement ‘Tyrannosausrus Hives‚ betitelten dritten Albums der Hives.

Ich finde ja, dass es bei MTV-Formaten wie ‘Making The Band’ um Bands wie die Hives gehen sollte. Eine putzige kleine Fünfmann-Truppe in Einheitskleidung, ein bisschen so wie damals die Monkeys, nur wilder. Wäre doch ein absoluter Quotengarant:
1993 erhalten fünf Schulfreunde aus Fagersta, Schweden, von einem gewissen Randy Fitssimmons den Auftrag, die Hives zu gründen und mit ihnen jeden Club der westlichen Hemisphäre zu bespielen. Die dafür nötigen Garage-Punksongs hat Fitzsimmons laut Bandlegende bereits in der Schublade. Unsere so entstandenen Entertainment-Götter behalten sich zur Hochzeit des Skandi-Rocks noch die Exklusivität des Untergrunds vor, ehe sie, mit Hilfe von Oasis-Entdecker Alan McGee, Großbritannien und die USA erobern. Was für eine Dramaturgie!
Ist aber natürlich ganz anders: >=Es gab keinen Masterplan, kein Kalkül. Wir haben uns stets ausschließlich auf die Qualität unserer Live-Shows verlassen, unser Erfolg hat nichts mit MTV zu tun.„ „Nur das mit Fitzsimmons stimmt natürlich„.

Vigilante Carlstroem hat ein Babygesicht (weniger höfliche Menschen würden sagen: ein Mopsgesicht). Die Haare hat er mit Pomade zu einer Tolle drapiert, wie sie in den Fünfzigern die ‘Halbstarken‚ trugen. Und Elvis Presley. Unter dieser Tolle bilden sich Schweißperlen – 150 geschätzte Kilo Lebendgewicht fordern ihren Tribut. Man denkt, dass der Gitarrist der Hives, als er diese Frisur und den blütenweißen Anzug noch nicht trug, es sicher nicht leicht hatte im Leben. Wenn er spricht, was selten vorkommt, tut er dies von oben herab. Er sagt dann witzige Sachen wie: „Die Hives sind wie Jesus, wir opfern uns auf dem Altar des Rock’n’Roll.„

Es geht um den umstrittenen Labelwechsel im Vorfeld der neuen Platte. Der Band wird vorgeworfen, Vertragsbruch begangen zu haben. Das mit Jesus reicht mir nicht und so hake ich bei Arson nach, der ebenso wie seine Mitstreiter auch abseits der Bühne bis hinab zu den weißen Lack-Gamaschen dem bekannten Hiveschen Dresscode entspricht. „Wir sind ausdrücklich von ‘Burning Heart’ zu ‘Universal’ gewechselt, NACHDEM unser Vertrag mit ersteren ausgelaufen war. Wir waren unzufrieden mit der Arbeit unseres alten Labels und so haben wir uns eben nach jemand anderem umgesehen.„

Jetzt sagen die Indie-Dogmatiker nach dem abendlichen Auftritt der Hives natürlich, dass die Shows viel besser waren, als die Band noch nicht beim Major war. Beim Wort ‘Major‚ verziehen sie angeekelt das Gesicht. Klar, draußen rocken 40.000, aber der selbsternannten Elite fällt auf, dass die Hives ja eigentlich ein hochgezüchtetes Image-Kunstprodukt sind. Dass es doch nur um Musik gehen sollte. Leute, es ging beim Rock’n’Roll nie ausschließlich um Musik. Nicht bei Elvis. Nicht bei den Stones. Und schon gar nicht bei den Sex Pistols. Ich kann ja verstehen, dass ihr ‘eure‚ Bands für euch behalten wollt, aber hey: Auch diese Jungs müssen ihre Miete bezahlen. Außerdem gibt es ja jetzt auch wieder neue Musik von Pelle und Co.

Keith Richards hat neulich sinngemäß gesagt, dass die jungen Wilden aus der Garage bei ihrem Rock immer den Roll vergessen würden. Die Hives, die ja auch schon für die Stones eröffnen durften (natürlich nicht in Deutschland, wir kriegen die Bösen Onkelz), kann er nicht gemeint haben. Denn die swingen auf ‘Tyrannosaurus Hives‚ mehr denn je. Vom Punk ist musikalisch eigentlich nur noch die Energie übrig geblieben.
Ansonsten hat die Band das Tempo gedrosselt, sich noch mehr als sonst in den Swinging Sixties umgesehen – soviel Beat war nie, und die Achtziger entdeckt. Das ergibt interessante Stilblüten: ‘Love In Plaster‚ gefällt mit Devo-Gitarren, Ramones-Vocals und Link Wray-Solo (man muss so viel zitieren – dass hier ist Eklektizismus pur). Unterwegs verloren gegangen ist leider der angezerrte Transitorradio-Sound des Vorgängers ‘Veni Vidi Vicious‚. Und auf ‘Diabolic Sheme‚ gibt es Streicher. Ausverkauf? Nennen wir es Weiterentwicklung!

Auch wenn das immer noch sehr Retro ist – die mit diesem Album endgültig etablierten Hives passen perfekt in unsere Zeit. Ihre Arroganz, die Posen, sind gnadenlos postmodern in ihrer Doppeldeutigkeit und Ironie. In der aktuellen Single ‘Walk Idiot Walk‚ prangern sie dann die Konsumhörigkeit der Massen als Religion des 21. Jahrhunderts an und karikieren sich damit letztlich auch selbst: “See the robot write up his name on the banner, they say this is what I need to get by, the truth is, baby, it’s a lie”. Das ist doch fast schon wieder subversiv.

Text: Torsten Groß