Für viele Künstler bedeutet die Veröffentlichung eines Best Of-Albums, dass die Zeit ihrer großen Erfolge nun Vergangenheit ist. Auf Björk trifft allerdings das Gegenteil zu. „Nachdem ich die Arbeit an „Vespertine“ beendet habe, war es für mich als hätte ich mit etwas abgeschlossen. Ich fühlte mich als hätte ich mich selbst eingeholt und etwas getan, was ich schon als kleines Kind wollte. Als hätte ich mich von etwas befreit und könnte wieder von ganz vorne anfangen. Ich befinde mich auf einem Scheideweg und das ist der richtige Zeitpunkt für eine Zusammenstellung meiner Arbeit, eine Art Retrospektive meiner Musik, die Geschichte bis heute.“

Die Geschichte begann in Island. Björk Gudmundsdóttir wurde 1965 in Rejkjavik, Island geboren, wo sie in einem sehr liberalen Haushalt aufwuchs (es war jedoch keine Hippie-Kommune, auf diese Feststellung legt Björk großen Wert). Musik wurde 24 Stunden am Tag gespielt. „Ich erinnere mich an eine Warteschlange am Plattenspieler, die eine Platte war zu Ende und sofort wurde die nächste aufgelegt.“ Im Alter von fünf Jahren wurde sie an der Musikschule angemeldet, dort lernte sie zehn Jahre lang Flöte und Klavier spielen. Als sie elf Jahre alt war entstand mit Hilfe ihrer Mutter und Freunden das erste Album. Es trug den schlichten Titel „Björk“ und wurde in Island ein großer Hit. Björk wurde Islands junger Star, doch sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil nur ein Song des Albums von ihr stammte. “Ich fühlte mich schuldig und habe mir vorgenommen, dass ich nur noch für Dinge den Erfolg bekomme, die ich auch selbst gemacht habe.”

Mit 13 Jahren hat sie ihre ersten Punkbands gegründet. Erst Exodus, dann Tippi Tikarras und später K.U.K.L., eine Band, die zwei Alben für das Label der berüchtigten UK-Punkband Crass aufgenommen hat. “Als ich mich mit Punkmusik beschäftigt habe, gab es keine isländische Musik. Wir mussten sie erst ins Leben rufen“. 1987 haben Einer Örn, Siggi Bladurson und Björk zusammen mit Thór Eldon, Magga Örnólfsdóttir und Bragi Olafsson eine neue Band gegründet: The Sugarcubes. Seit ihrer ersten Single “Birthday” waren The Sugarcubes eine einzigartige Band, sie vereinten Post-Punkklänge mit experimentellen Sounds, ergreifenden Melodien und Björks ungewöhnlicher Art zu singen. Mit den Sugarcubes existierte Island zum ersten Mal auf der musikalischen Landkarte. Björks Persönlichkeit, ihr ausgefallener Kleidungsstil und ihr ganz eigener Gesang kamen in der damaligen gesichts- und farblosen Musikszene genau richtig und trafen den Nerv der Zeit. Nichts brauchte man dringender als eine selbstbewusste, innovative und selbstbestimmende Persönlichkeit.

Im Jahr 1992, nach vier Alben waren The Sugarcubes dann bereit für einen neuen Schritt, sie lösten sich auf. Ihre letzte Veröffentlichung, ein Remix-Projekt, zeigte deutlich Björks Entwicklung in Richtung der britischen Dance/Elektroszene. Ihre jahrelange Zusammenarbeit mit Graham Massey begann, sie nahm mit 808 State auf und sang zwei Titel auf deren Album EX:EL. Ihr Album “Debut”, das im Juli 1993 veröffentlicht wurde, änderte dann alles. Produziert wurde es von Nellee Hooper, dem wichtigsten Produzenten in der Bristol HipHop-Szene, der bereits mit Soul II Soul extrem erfolgreich war. Das Album enthält Streicher-Arrangements von Talvin Singh, das Bläser-Orchester wurde von Björk und Oliver Lake arrangiert. Mit “Debut” wird eine der ungewöhnlichsten Solokünstlerinnen seit Jahren vorgestellt.

„Mit „Debut“ war ich eindeutig noch am Beginn meiner Musik“, so Björk über ihr Anfangswerk. Ihr Produzent arrangierte bei den Aufnahmen für sie die eigenartigsten Hintergrund-Sounds: ein Strand in der Nacht, eine Höhle voll mit Fledermäusen. So konnte sie ihre Grenzen austesten. „Nellee Hooper unterstütze mich sehr und half mir mit allem klar zu kommen: dem Studio, meinen Gefühlen und meiner Sehnsucht nach Abenteuer“. Trotz oder gerade wegen dieser Experimente ist „Debut“ ein Album voller großer Songs, wie „Human Behaviour“, „Venus As A Boy“, „Big Time Sensuality“ und „Violently Happy“, die für viele zugänglich waren und noch bis heute zu Björks wichtigsten Songs zählen.

Seit “Debut” hat sich Björk immer auf ihr Gefühl verlassen. Die frühen Jahre in Reykjavik, die sie mit den Jazzplatten ihrer Großeltern und den Rockplatten ihrer Mutter verbrachte, ihre klassische Musikausbildung, die isländischen Lieder, Sagen und Mythen, ihre Punkbands, die Streitgespräche über Kunst – das alles hat sie mitgenommen in die Londoner Musikwelt und zu einem künstlerischen und ethnischen Potpourri vermischt. “Debut” hat sich weltweit über 2,5 Millionen Mal verkauft und wurde 1993 von “Post” gefolgt, das den Erfolg des Vorgängers noch übertraf. Auf “Post” arbeitete Björk neben Produzent Nellee Hooper noch mit Graham Massey, Howie B und Tricky zusammen. Weitere große Songs entstanden, wie „Army Of Me“, „Isobel“, „Hyperballad“, „Possibly Maybe“, „I Miss You“ und „It’s Oh So Quiet“, eine der wenigen Cover-Versionen, die zu Björks erfolgreichster Platte wurde.

Im Vergleich zu den bombastischen Sounds und massiven Beats von “Post”, einschließlich der Big Band-Nummer “It’s Oh So Quiet”, hört sich das Nachfolge-Album “Homogenic” von 1997 wesentlich experimenteller an, es ist insgesamt gewagter und ausgefallener in seiner Intensität und Struktur. Produziert wurde es von Björk zusammen mit Mark Bell, Guy Sigsworth und Howie B. Durch dieses Projekt gewann Björk an Selbstvertrauen, gerade ihre eigenen Fähigkeiten betreffend. „Bei „Debut“ habe ich zum ersten Mal über Arrangements gesprochen. Am Ende der Produktion konnte ich was zum Rhythmus sagen. Am Ende der Entstehungsphase von „Post“ wurde ich noch mutiger und habe selbst produziert. Wahrscheinlich war „Homogenic“ das erste Album, bei dem ich genau wusste, wie die gesamte Produktion, das Gesamtbild aussehen sollte bevor die Aufnahmen überhaupt begannen. Bei „Debut“ und „Post“ hatte ich manchmal die Hälfte der Songs beisammen und bat dann jemanden, das Album zu beenden – es war eine gleichberechtigte Zusammenarbeit. Ich glaube bei „Homogenic“ wurde ich etwas bestimmender“. Songs wie „Joga“, „Bachelorette“, „Hunter“, „Alarm Call“ und „All Is Full Of Love“ zeigen, wie produktiv diese neue Unabhängigkeit sein konnte.

In Interviews spricht Björk oft über Mut und Feigheit, beides ist für sie im Zusammenhang mit ihren kreativen Entscheidungen sehr wichtig. Ganz typisch für sie ist, dass sie sich immer aus Situationen zurückgezogen hat in denen sie aufgrund ihrer Bekanntheit auf bestimmte Freiheiten verzichten musste. Wenn sie vor der Wahl stand sich auf neue Wege zu begeben, ist sie lieber das Risiko eingegangen als eventuell an Glaubwürdigkeit zu verlieren oder kommerzielle Verluste hinzunehmen. Durch ihre Entscheidung bei Dancer in The Dark als Darstellerin mitzuwirken, hat sie sich natürlich auf der einen Seite den gnadenlosen Filmkritikern ausgesetzt, auf der anderen Seite gab es genügend Leute, die ihr Verlangen nach neuen Herausforderungen anerkannt haben. Ihr Verlangen nach künstlerischen Grenzerfahrungen spiegelt sich auch deutlich in der Wahl der Menschen wider mit denen sie bis heute bereits zusammengearbeitet hat, wie z.B. die Modedesigner Alexander McQueen, Hussein Chalayan, die Fotographen Nick Knight, Stephane Sednaoui und Nobuyoshi Araki, die Videoregisseure Chris Cunningham, Michel Gondry und Spike Jonz, Percussionisten Evelyn Glennie und Talvin Singh , Remixer Dillinja, Funkstörung, Mika Vainio und Underworld.

Bei “Vespertine” hat sie wieder einmal bewiesen, dass sie ein Gespür dafür hat, wer oder was gerade angesagt ist. Sei es nun das wilde Mikro-Rhythmus-Duo Matmos aus San Franzisko, Matthew Herbert oder Thomas Knak, die im akustischen Kontrast zur zerbrechlichen Schönheit der Harfe, Music Box oder Clavichord stehen. Ganz anders als die Titel, die nach dem neuesten Stand der Technik produziert werden ist „Vespertine eine Zusammenstellung höchst emotionaler Songs. „Hidden Place“, „Pagan Poetry“ und „Cocoon“ sind Lieder mit wunderschönen Melodien und einfallsreichen Arrangements. Das Album trägt unverkennbar Björks Handschrift und markiert deutlich ihre Weiterentwicklung. Es ist der nachdrückliche Beweis, dass es in diesem Bereich einfach niemanden gibt, der ihr nahe kommt.

Die ersten zehn Jahre ihrer Karriere dokumentierte mit „Family Tree“, einer 2003 erschienenen Best Of-Zusammenstellung auf CD und DVD. Mit „Medúlla“ wollte Björk auf den absoluten Kern ihrer Musik stoßen, nämlich die Stimme. Drum war es nicht verwunderlich, dass so ziemlich die komplette Instrumentierung wieder entfernt wurde. Dafür wurden Beatboxer eingeladen, die an der Platte mitwirken sollten. Am 25. Juli 2005 veröffentlichte sie den Soundtrack zum Film „Drawing Restraint 9“.

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