Hervorgegangen aus ehemaligen Hausbesetzern, wollen Breton dem plötzlichen Medienrummel um ihr Debüt “Other People’s Problems” keinen Glauben schenken und tun im motor.de-Interview einfach so, als wäre nichts passiert – was natürlich nicht stimmt. 

(Foto: Fat Cat Records)

Roman Rappak scheint heute ein wenig neben der Spur: „Machen wir jetzt Mittag?“, fragt er seinen Manager und bekommt sogleich ein Kopfschütteln als Antwort, „Leider nein, du hast noch einiges zu tun, ehe es was zu essen gibt“. Der anschließende Blick spricht Bände, denn obwohl halb England von den Newcomern Breton schwärmt, ist dem Frontmann der Hype unheimlich – „Klar freut es einen, wenn der New Musical Express eine ganze Seite über dich bringt und es noch nicht einmal ein Album gibt. Andererseits haben Breton das Publikum aus meiner Sicht vorher erreicht und solche Lobeshymnen sind eher das Ergebnis als der Beginn dieses Prozesses.“

Rappak ist ein intelligenter Typ, weiß genau was er will und lässt sich ungern steuern: Seine Formation Breton entstand nicht durch irgendwelche regulären Freundeskreise, sondern 2010 im Süden Londons, als eine Reihe von Leuten zu Hausbesetzern wurden um – gegen die Obrigkeit rebellierend – Wohnungen für sich zu beanspruchen, die eigentlich eine Stange Geld kosten. Selbstverwirklichung nennen viele dies, Grenzüberschreitung sagen andere dazu – wie dem auch sei, das Quintett hat den Lebensstil auf die eigene Musik transformiert und kreuzt mit einer Kunst-Pop-Architektur sowohl Massive Attacks TripHop, N.W.As HipHop-Verständnis und verschiedene Spurenelemente Michael Jacksons. Indie war gestern, lautet die Devise und macht Breton zum Paradebeispiel einer neuen, alten Stilrichtung: Lärmende Garagenbands scheinen das Nachsehen zu haben und so ist “Other People’s Problems” ein Debüt, auf das sich aktuell viele einigen können. Wie jedoch Roman Rappak dieses ganze Brimborium sieht, warum er skeptisch bleibt und weswegen Breton die Sache langsam angehen, erklärt er im motor.de-Interview mit Geduld und Sachverstand.

motor.de: Erst einmal Glückwunsch – nach nur eineinhalb Jahren Bestehen hat deine Band bereits für ordentlich Furore gesorgt.

Roman Rappak: Die Freude ist ganz meinerseits, denn abgefahren ist das schon: Im Frühling 2010 hätte ich niemals gedacht, dass ich zwei Jahre später in Deutschland sitze und Interviews gebe. Andererseits werden wir jetzt nicht naiv – so schnell dich jemand hochjubelt, so schnell kann er dich fallen lassen. Es heißt weitermachen – sonst ist der ganze Hype umsonst.

motor.de: Dabei wurde Breton ja eigentlich gegründet, um Filmmusik zu machen, oder?

Roman Rappak: Richtig, es sollte ein Projekt entstehen, dass vor allem im Independent-Segment die Sounds zu diversen Plots liefert. Wir dachten damals, dass das Ganze als richtige Band nie funktionieren würde, denn wer will schon ein Klangsammelsurium auf Albumlänge hören?!

motor.de: Geht es um die vielen Facetten, die euer Debüt “Other People’s Problems” präsentiert?

Roman Rappak: Ja, es ist weniger homogen als dass es versucht Grenzen auszuloten. Im Prinzip fließt hier die gesamte Musik zusammen, mit der ich in den Neunziger Jahren aufgewachsen bin. Der damals alles bestimmende TripHop, meine Leidenschaft für Old-School-HipHop und natürlich Pop, mit dem jeder meiner Freunde Zugang zur Musik fand. Das ist schon eine irre Mischung, finde ich.

Breton – “Interference”
motor.de: Man spürt sogar das urbane Umfeld, in dem die Songs entstanden sind: Sounds wie das Quietschen der U-Bahn, Sirenen oder andere Geräuschkulissen sind enthalten und klingen, als hätte jemand ein Mikro drangehalten.

Roman Rappak: Jeder von uns war an die Regeln der elektronischen Musik gewöhnt und die sagen nun mal, nimm ein Sample und gut ist. Mir ging das irgendwann gegen den Strich, weil alles steril klang, verstehst du? Wenn jemand das Quietschen eines Zuges synthetisch erzeugt, dann macht er dies perfekt – aber der Wirklichkeit entspricht es nicht. Dort vermischt sich alles miteinander und nur weil wir es so aufgenommen haben, bemerkt man es überhaupt.

motor.de: Der deutsche Komponist Conrad Schnitzler hat teilweise ganze Stücke mit unbewussten Sounds eingespielt: Das Klackern der Bahn auf den Gleisen diente ihm bereits als vollwertiger Beat.

Roman Rappak: Leider habe ich zu wenig von ihm gehört, aber in Düsseldorf sind neben Kraftwerk eine Menge wahnsinniger Sachen entstanden und alles stemmte sich gegen die Konventionen klassischer Musik. Andererseits muss man die Kirche im Dorf lassen – komplette Songs auf diese Weise aufzunehmen, ist dann doch ein wenig zu viel für mich. (lacht)

motor.de: Ihr hattet aber scheinbar schon ein konkretes Bild vor Augen. Die Aufnahmen fanden in den Sigur Rós-Studios auf Island statt und der Düsseldorfer Pianist Hauschka wurde auch involviert.

Roman Rappak: Auf jeden Fall, aber Improvisation gehört genauso dazu. Das Label gönnte uns den Trip dorthin und als ich vor ein paar Jahren eine Platte von Hauschka hörte, war ich sehr angetan von seiner organischen Art des Spielens – das musste unbedingt auf die Platte und er war nach den ersten Demos sofort bereit dazu.

motor.de: Würdest du sagen, dass deine Arbeitsweise als Musiker mit deiner Sozialisation nach der Schulausbildung zusammenhängt?

Roman Rappak: Songs zu schreiben, heißt nicht Häuser zu besetzen. Da liegt schon ein großer Unterschied vor. Als wir 2009 auf die fixe Idee kamen, leerstehende Wohnungen im äußersten Süden Londons zu renovieren und wieder bewohnbar zu machen, hatte das praktische Gründe – wenn du studierst, zahlt dir der Staat nicht Unsummen und da waren leere, runtergekommene Zimmer, die offenbar niemanden gehörten.

motor.de: Ihr habt sie also nicht besetzt? Wir in Deutschland haben bei dem Wort gleich die 68er-Studentenrvolte vor Augen, mit Polizeieinsätzen und Tränengas.

Roman Rappak: (schüttelt vehement den Kopf) Nein, nein, so war das nicht. Wir hatten irgendwann reguläre Mietverträge und niemand wohnte dort illegal. Aber locker war das schon, denn durch diese starke Konzentration mehrerer Leute auf einen Fleck, entstanden die verrücktesten Projekte – u.a. Breton.

motor.de: Musstest ihr lange überlegen, ehe der Schritt zu einem klassischen Label und einer typischen Booking-Agentur folgte?

Roman Rappak: Ende 2010 – da hatten wir gerade zehn Songs zusammen – erreichte mich eine Mail von einem Freund, der mir einen Link auf YouTube schickte. Dort kursierte ein Song von uns, der mit einem selbstgedrehten Video unterlegt war und ich schaute, wer dafür verantwortlich war. Ein kleiner Teenager aus Ohio hatte den Track über Soundcloud gefunden und sich wirklich die Mühe gemacht, in seiner Freizeit einen Clip zu drehen. (überlegt) Darum geht es ja: Menschen zu erreichen und das schaffst du langfristig alleine nur schwer.

motor.de: Dann hat sich der Hype gelohnt – warum so misstrauisch?

Roman Rappak: Natürlich, aber ich sehe in der Musik nicht meinen Broterwerb. Mir geht es eher darum, Eindrücke, die ich am Wochenende auf Partys oder von Freunden sammele, in die Tat umzusetzen. Es passiert nicht selten, dass ich Musikern begegnete, die denken: „Ich habe ein Label, wir haben Fans, also scheiß auf den Rest!“ Da musst du vorsichtig sein.

Breton – “2 Years”

motor.de: Deine Bescheidenheit in allen Ehren, aber bislang läuft die Sache doch gut!

Roman Rappak: Meine Eltern sagten immer: Lern was Anständiges, dann kannst du deinen Flausen nachgehen. (lacht) Irgendwie hat sich dieser Satz bei mir eingebrannt und deswegen vertraue ich diesem ganzen Hype nicht, bin misstrauisch und denke darüber nach, was kommt, wenn wir nicht mehr im NME als Newcomer geführt werden.

motor.de: Die größere Herausforderung wird wohl die Umsetzung von “Other People’s Problems” auf der Bühne sein, oder?

Roman Rappak: Um ehrlich zu sein, als die Platte entstand, dachten wir kaum an irgendwelche Tourneen. Sicher ist, dass wir einiges nicht so einfach umsetzen können – aber andererseits sind Konzerte von uns immer etwas anderes als eine 1:1 Darbietung des Werk. Dann könnten sich die Leute auch das Album daheim anhören!

Interview + Text: Marcus Willfroth

Breton – “Other People’s Problems”

VÖ: 30.03.12

Label: Fat Cat/Rough Trade

Tracklist:
1. Pacemaker
2. Electrician
3. Edward The Confessor
4. 2 Years
5. Wood And Plastic
6. Governing Correctly
7. Interference
8. Ghost Note
9. Oxides