Die Goldenen Zitronen sind sich treu geblieben – und sie wissen, dass sie mit dem, was sie tun, allein auf weiter Flur stehen.
Ironischerweise ist laut Last.fm “Für immer Punk”, jene Alphaville-Adaption von 1986, immer noch das meistgehörte Stück der Goldenen Zitronen. Ironischerweise, weil die Zitronen 2009 mit dem damals gefeierten Punkrock schon vor fast zwei Jahrzehnten gebrochen haben.
Oder eben doch nicht. Zumindest nicht, wenn man Punk versteht als das Einreißen von Grenzen, die unbeirrte Haltung, konsequente Autonomie und sich einen Dreck um die Meinung anderer zu scheren und nicht das Auftragen der dreißig Jahre alten Fetzenkluft. Dann ist auch “Die Entstehung Der Nacht” ein Stück Punk vom Feinsten: warum muss man ein Klavier spielen, wenn man es auch öffnen und die bloßliegenden Saiten bearbeiten kann, wie im ersten Stück “Zeitschleifen”? Warum sich Elektronik und Effekten verweigern, wo sich damit doch so herrlich nervenzerfetzende Sounds erzeugen lassen? Warum sollte sich ein Bandmitglied auf ein, zwei Instrumente limitieren, wenn jedem die ganze Spielwiese offen steht?
Die Zitronen tun es jedenfalls weiterhin auf ihre Art – und sie wissen, dass sie mit dem, was sie tun, allein auf weiter Flur stehen. Schon die Symbolik des Covers spricht Bände: inmitten tiefer Nacht und fernab aller Mitmenschen tragen rot glühende Gestalten ihre Instrumente “Über Den Pass” – wohin, wissen sie vielleicht selbst nicht, aber es muss voran gehen. Die ersten ihrer Art; die, die voraus gehen – die Avantgarde. Ein hässliches Wort, meinte doch schon John Lennon treffend: “Avantgarde is just the french word for ‚bullshit’.” Die Goldenen Zitronen können jedoch nicht anders. Das Etikettieren ist schließlich Sache der Fusion-Kaugummis verkaufenden “Medienpartner”, die in ihrem Lied ihre Position erklären: “Einer Muss Den Job Ja Machen.”
Genau das müssen sich auch die Zitronen selbst öfter gedacht haben. Einer muss sich ja auch mit der Banken- respektive Systemkrise befassen, wie es in “Börsen Crashen” geschieht. Auf die Wut der Jugend jedenfalls ist hier kein Verlass – die wird in “Aber Der Silbermond” portraitiert als Generation zwischen sensationslüsternem Krawalltourismus und dem gleichzeitigen Wunsch nach etwas, was bleibt.
Einfache Antworten und Anklagen gibt es jedoch nicht. “Positionen” sind nichts festes, sondern müssen dialektisch erarbeitet werden. Wo die früheren Weggefährten das Abfackeln von Bullenautos als legitimes Mittel empfanden, wägen die Zitronen ab: “Ich halte brennende Autos für ein starkes Ausdrucksmittel, getraue mich aber nicht, eines anzuzünden, da ich viele Freunde habe, die die Beschädigung ihres Autos für einen Angriff auf ihre Persönlichkeit halten würden.”
Eines jedoch bleibt eine Konstante im stets expandierenden Zitronen-Universum: Das hohe Gut der Freundschaft und des wechselseitigen Respekts. Wie schon bei “Für Immer Punk” stand die Studiotür offen für Gäste aller Couleur. So wandeln sie gemeinsam mit Mark Steward im Grenzgebiet zum HipHop auf “Drop The Stylist” und das Melanie-Cover “Beautiful People” gerät dank Michaela Mélian und ihrem Nico-Akzent zum harmonischen Moment in einem unruhigem, forderndem, aber doch sehr lohnendem Album.
Robert Goldbach
VÖ: 16.10.09
Label/Vertrieb: Buback / Indigo
Tracklist:
01. Zeitschleifen
02. Positionen
03. Börsen crashen
04. Bloß weil ich friere
05. Die Entstehung der Nacht
06. Des Landeshauptmann’s letzter Weg
07. Drop the stylist (ft. Mark Stewart, Melissa Logan)
08. Aber der Silbermond
09. Über den Pass
10. Lied der Medienpartner
11. Wir verlassen die Erde
12. Beautiful People (ft. Michaela Melian)
13. Der Flötist an den Toren der Dämmerung
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