Im französischen Kunstkino wird gevögelt ohne Ende, Hollywood lässt Collegekids in Osteuropa foltern – das Kino kennt scheinbar gar keine Tabus mehr. Jetzt fällt auch noch das letzte: „Flug 93“ ist ein Spielfilm über den 11. September. Viel zu früh! Geschmacklos! Unverantwortlich! All das wurde geschrieen, bevor jemand den Film gesehen hatte, aber natürlich ist alles halb so schlimm. Im Gegenteil: Paul Greengrass hat die Geschichte des vierten Flugzeugs, das das Weiße Haus treffen sollte, aber durch den Einsatz der Passagiere auf freiem Feld abstürzte, so authentisch und packend inszeniert, dass das Zuschauen fast körperlich anstrengend wird. Und weil er Brite, nicht Amerikaner ist, fehlt auch von patriotischem Heldenpathos jede Spur.

Wirklich geschmacklos ist leider etwas völlig anderes, nämlich Fäkalhumor und Fatsuits. Von beidem gibt es in „Date Movie“, hinter dem ein paar der „Scary Movie“-Macher stecken, reichlich. Also jede Menge Gags über Körperflüssigkeiten und die putzige Alyson „Willow“ Hannigan muss sich mit künstlichem Übergewicht zum Affen machen. Ziel des ganzen ist übrigens, sich über die Klischees romantischer Beziehungskomödien à la Hollywood lustig zu machen. Natürlich ist dabei auch Carmen Electra am Start, die wahrscheinlich arbeitslos wäre, wenn nicht einmal im Jahr eine Parodie gedreht würde, in der keine Schauspielkunst gefragt ist.
Playmate Electra steht ja bekanntlich auf harte Rocker, weswegen der Bogen zu Motörhead-Sänger Lemmy hier nicht weit ist. Ob die beiden sich kennen, lässt sich nicht einwandfrei sagen, aber wundern würde es nicht, wenn man sich Lemmy ausschweifendes Leben so anschaut. Das kann man übrigens jetzt auch im Kino. Vier Jahre war Dokumentarfilmer Peter Sempel dem Rocker mit der Kamera auf den Fersen, und das dabei entstandene Porträt „Lemmy“ bewegt sich aufschlussreich und unterhaltsam im Bermudadreiecke Sex, Drugs & Rock’n’Roll.

Mehr noch als Lemmy auf der Bühne schwitzen allerdings die Schüler vor den großen Ferien: Zeugnisalarm! Wenn’s nicht klappt mit der Versetzung und sogar das Abi verspielt wurde, kann das natürlich Ärger geben – wenn man es zu Hause überhaupt erzählt. Annika tut das in „Wahrheit oder Pflicht“ nicht und lässt die Eltern ein Jahr lang glauben, sie ginge noch zur Schule, mit Nachhilfe, Klassenfahrt und allem Drum und Dran. Allzu gerne würde man dem Mädel in den Hintern treten, so viele falsche Entscheidungen trifft sie, aber weil Theaterstar Katharina Schüttler in der Hauptrolle schlicht brillant ist, muss man einfach hingucken.

Aber was schert uns die Schule, wenn wir auch von Fußball sprechen können. In der irrigen Annahme, dass WM-Fieber nutzen zu können, kommt auch diese Woche wieder ein Fußballfilm in die Kinos: „Gib mich die Kirsche! – Die 1. deutsche Fußballrolle“. Das hat ein Stürmer namens Lothar Emmerich mal gesagt und ist bei Fußballfans scheinbar immer noch ein Brüller. Überhaupt soll hier wohl viel gelacht werden, denn zwei Filmemacher haben die Fernseharchive geplündert und die kuriosesten und amüsantesten Schnipsel über das Spiel mit der Lederkugel und den elf Freunden aneinandergereiht, mit deutlichem Fokus auf den 60ern und 70ern. Aber dafür ins Kino? Ich würde die Sache mal nicht hochsterilisieren.

Noch weniger originell ist übrigens „Tierisch wild“. Zumindest klingt das neuste computeranimierte Abenteuer aus dem Hause Disney auf dem Papier nach einem schwachen Abklatsch von „Madagascar“, der letztes Jahr bekanntlich selbst schon nur mäßig amüsant war. Neurotische Zootiere verschlägt es in die afrikanische Wildnis – und sogar Pinguine kommen vor. Auf jeden Fall ist das ganze Mal wieder ein Anlass nostalgisch zu werden und an die Zeiten zu denken, als Animationsfilme noch echte Geschichten statt nur flotter Sprüche zu bieten hatten und die tierischen Protagonisten nach putzigem Zeichentrick statt pixeligem Computerspiel aussahen.

Bleibt noch kurz Zeit für den Geheimtipp der Woche: „KussKuss“. Die Themen Einwanderung und Integration mögen manchem zum Halse raushängen, aber wie dieser Abschlussfilm zu einer tragikomischen Menage à trois verknüpft ist nicht nur klug und minimalistisch, sondern auch großes kleines Kino.