Viel zu viel Dada: die Berliner Diskurs-Pop-Streber Die Türen legen eine ausgefeilte Meta-Pop-Platte vor. Kulturelle und gesellschaftspolitische Absurditäten werden aufgedeckt und angeprangert. Kurz: “Ich will keinen Mindestlohn, ich will Mindestliebe!”

(Foto: Knut Claßen)

2012 ist digital – und wird stetig digitaler. Während das Angebot an zu konsumierenden Kulturprodukten stetig wächst, wird die vorhandene Zeit immer knapper. Wie soll man in solchen Zeiten noch Bezüge verstehen? Zitate erkennen? Das Zeitalter des Mash-Ups ist viel zu schnell geworden für die Kulturgüter, die es eigentlich auszeichnen: Remix, Mash-Up, Intertextualität. Wie soll man Musik verstehen, wenn man keine Zeit zum Zuhören hat? Manch einer nennt diese prekären Zeiten das Zeitalter der digitalen Bohème. In diese Schublade würde man Die Türen samt Staatsakt-Gefolgschaft wohl als erstes stecken – wenn sie sich denn in eine dieser Schubladen stecken lassen würden.

Für eine eindeutige Zuordnung steckt in den Türen allerdings viel zu viel Dada: Sie nehmen sich Zeit für Wortspiele, Zitate und fordern ihre Hörerinnen und Hörer zum Partizipieren auf – geistig wie haptisch: Mit “ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ” legen sie eine selbstreferentielle Meta-Pop-Platte vor, der Konventionen völlig egal sind und die so voller Punk-Poesie und Verweise steckt, dass es ein Handbuch dazu braucht. So liegt der Vinylversion des Albums eine Anleitung bei. Ob man die Band auf diese Weise besser versteht, sei dahingestellt. Fest steht: Die Türen sind Überhumor. Die LP kommt als ein weiteres Gesamtkunstwerk aus der selbst gegründeten und mittlerweile stark angewachsenen Staatsakt-Sippe. Zur Finanzierung des Albums haben sie – ganz in Crowdfundig-Manier – Buchstaben-Patenschaften über ihre Website verkauft.

Die Türen – “Albumteaser”

Die Platte ist als White-Album zum Selbstausbau konzipiert: Ihr liegen drei Bögen Aufkleber bei, die Referenzen zu verschiedensten Genres und Bands – von Velvet Underground über die Rolling Stones und Justice bis hin zum Staatsakt-Siging Ja, Panik – anbieten. Hat das jetzt was mit der Platte zu tun? Bestimmt. Andreas Spechtl ist jedenfalls einer der beiden Türen-Neuzugänge. Mit ihm hat die Band einen weiteren Feuilleton-Liebling in ihren Reihen. Zusätzlich verstärkt Chris Imler am Schlagzeug das musikalische Po(p)pourri dieser vierten Türen-Platte.

Die Türen-Songs bleiben zwar albern, haben sich musikalisch aber gemausert. Die neue Platte hält einige Gassenhauer bereit, die meist im klassischen Pop-Format beginnen und irgendwo in einer Jam-Session enden. Dabei wird stets auf fließende Übergänge geachtet. Ein gefälliger Pop-Song reiht sich hier reibungslos an den anderen. Okay, aber eher uninteressant. Bei dieser Platte sowieso irrelevant. Was es in sich hat, sind nämlich die Texte. Der Versuch einer Interpretation ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Schließlich ist all das so sehr meta, dass kein Feuilletton-Fuzzie es jemals erfassen könnte. Schließlich wird auf ihn ja ebenfalls referiert. Je mehr er sich anstrengt, desto weniger gelingt es und umso mehr scheint sich die Band darüber totzulachen. Und genau davon lebt auch die vierte Türen-Platte: Kulturelle, gesellschaftliche und politische Absurditäten werden hier in einer derartig ironischen Art und Weise aufgedeckt und angeprangert, das einem die Ohren pfeifen – und das Hirn!

Die Türen – “Leben oder Streben”

“Schwarz-Gelbes Unterseeboot” scheint demnach nicht nur ein Verweis auf die Beatles zu sein. Unsere Regierung wird hier in feinstem Kulturphilosophen-Duktus veralbert, in “Pop Ist Tot” werden Angela Merkel und Guido Westerwelle mit Tarzan und Jane gleichgesetzt. Schuld am Ende des Pop ist übrigens die Generation Download: “Pop ist tot. Böse Menschen haben keine Lieder, sie laden nur darnieder.”

“Aus der Mitte entspringt ein Hit” wirkt indes wie eine Parodie auf das Spießbürgertum und auch in “Rentner & Studenten” nimmt man Menschen auf die Schippe, deren Hobbies Yoga und Systemkritik sind. Die Türen spielen sich fröhlich durch ihr Diskurs-Programm, bauen an allen erdenklichen Stellen Wortwitze und Verweise ein und lassen immer wieder Dada winken: Die Worte “Druck, nicht Bar” in Schwarz-gelbes Unterseeboot” schaukeln sich nach mehrmaliger Wiederholung zur Parole “Druckt Bargeld!” hoch und “Dieses Lied” ist gegen alles, will aber geliebt werden und scheint so auf die Abstrusität einiger ehemaliger Subkulturen und deren Überbleibsel zu referieren. 

Die Türen – “Rentner & Studenten”

Inmitten all dieser Sprach-Jonglage streuen Die Türen ein paar schlechte Reime ein. Wo Rille auf Wille folgt, fühlt man sich an das gute alte Dilettanten-Konzept der frühen Türen erinnert. Die Lyrics lassen durchblicken, dass auch die kritische Haltung der Türen gegenüber Kapitalismus und Lohn-Arbeit weiterhin besteht: “Ich will keinen Mindestlohn, ich will Mindestliebe!”

Es hat sich also nicht viel geändert bei den Türen, man ist musikalisch ein wenig ausgefeilter geworden, textlich weiterhin selbstreferentiell, schlau bis dadaistisch und vor allem eins: wortwitzschwanger. Die Türen sind eine Parodie auf das digitale Zeitalter, auf den Kapitalismus, auf Rock’n’Roll und Popmusik – vor allem aber auf sich selbst. “Don’t google yourself” ist eine der einschlägigen Parolen des neuen Albums – und wer steht auf Seite 1, wenn man ‘Diskurspop’ in die Suchmaske einschlägiger Suchmaschinen eingibt? Genau, Die Türen!

Lydia Meyer

VÖ: 10.02.2012

Label: Staatsakt/Rough Trade

Tracklist: 

01. Rentner & Studenten
02. Leben Oder Streben
03. Schwarz-Gelbes Unterseeboot
04. Was Passiert
05. Aus Der Mitte Entspringt Ein Hit
06. Pop Ist Tot
07. Dieses Lied
08. Don’t Google Yourself
09. Alles Nicht So schlimm
10. Über Den Tellerwäscherrand Zum Millionär