Die Earlies sind ein eigentümlicher Haufen: Nicht nur, dass sie eine dieser Bands mit zweistelliger Mitgliederzahl sind, nein, es handelt sich dabei obendrein um eine britisch-amerikanische Gemeinschaftsproduktion. Einige der Musiker entstammen dem Norden Englands, andere kommen aus Texas. Ähnlich bunt gemischt präsentiert sich die Musik ihres Debüt-Albums “These Were The Earlies”: Umrahmt von Gesangsharmonien und -Melodien, die nicht wenige Kritiker die allseits gefürchtete “Beach Boys/Pet Sounds”-Karte ziehen ließen, finden sich in den elf Songs elektronische Sounds genau so wie “richtige” Instrumente. Das erinnert hier an Grandaddy oder die Flaming Lips, dort an Moby und Can – klingt aber doch irgendwie eigen. Mit einjähriger Verspätung erscheint “These Were The Earlies” dank Herbert Grönemeyers ‘Grönland’-Label nun auch in Deutschland. Christian Madden, einer der zwei Briten unter den vier Kern-Earlies, erklärt im Interview die Geschichte von ganz früh bis kurz nach jetze.
Ihr seid gerade dabei, die zweite Earlies-Platte aufzunehmen. Ist es da nicht merkwürdig, über ein Album zu reden, das für Dich mindestens schon ein Jahr alt ist [das Debüt “These Were The Earlies” wurde in England bereits Mitte 2004 veröffentlicht]?
Christian Madden: Eigentlich ist es sogar schon viel älter! Wir haben einfach lange gebraucht, es überhaupt zu machen – die ersten Songs wurden vor etwa vier Jahren aufgenommen. Wir haben dieses Frage-Antwort-Spiel zu der Platte in England ja auch schon lange hinter uns, jetzt kommen die anderen Länder dran. Nächsten Monat zum Beispiel geht es nach Amerika auf Tour – immer noch mit dem ersten Album. Das ist aber nicht weiter schlimm; ich schätze, jede Band muss da durch…
Werdet ihr da alle [ca. elf] Mitglieder mitnehme?
Christian: Das hängt davon ab, ob wir die Plattenfirma überzeugen können, für alle die Reise zu bezahlen [lacht]. Wir würden natürlich schon gerne komplett antreten.
Wie kommt diese hohe Mitgliederzahl eigentlich zustande?
Christian: Nun, wir sind Fans von großen Arrangements und von echten Instrumenten. Immer, wenn uns ein besonderes Instrument einfiel, das wir gerne dabei hätten, haben wir in unserem Freundeskreis nach jemandem gesucht, der es spielen kann. Das fanden wir besser, als es durch Samples oder Computer zu simulieren.
Stimmt es tatsächlich, dass eure ersten Singles entstanden sind, indem ihr eure Ideen per e-mail ausgetauscht habt?
Christian: Ja, das stimmt – zuerst waren es sogar richtige Briefe; also, wir haben CDs hin und hergeschickt. Inzwischen verwenden wir die Online-Filesharing-Möglichkeiten.
In dem Zusammenhang habe ich auch gelesen, dass ihr euch untereinander zu der Zeit auch noch gar nicht alle kanntet…
Christian: Ja! Einen unserer Sänger habe ich zum ersten Mal getroffen, als wir den letzten Song für das Album aufnahmen, “Dead Bird”. Er kam rein, ich spielte Klavier und er sang. Das war dann das Ende des Albums…
…und in gewisser Weise auch der Anfang der Band, oder?
Christian: Ja, ja! Kurz danach haben wir auch begonnen, für unsere ersten Konzerte zu proben. Da haben sich dann die eben erwähnten Musiker zum Teil auch erst kennen gelernt. Von da an ging es dann richtig los!
Es scheint, als würdet ihr euch prächtig verstehen – das hätte ja auch schief gehen können…
Christian: Ja, stimmt, da hatten wir Glück – der Sänger hätte ein echter Bastard sein können [lacht]. Aber er hat sich als netter Kerl entpuppt.
Wie alt seid ihr eigentlich?
Christian: Zwischen 35 und 26, was die vier Kernmitglieder betrifft. Der jüngste in der Live-Band ist 23.
Euer erstes Album ist mehr oder weniger eine Zusammenstellung eurer Singles und EPs.
Christian: Anstatt rauszugehen und endlos live in kleinen Bars zu spielen, haben wir lieber auf eigene Faust Platten herausgebracht, um DJs, Journalisten und letzten Endes auch Labels für uns zu interessieren. Wir haben erst drei Singles und dann eine 10″-Ep gemacht.
Ist das auch der Grund für den merkwürdigen Titel – der klingt ja ein bisschen so, als gäbe es die Band nicht mehr?
Christian: Genau – “These Were The Earlies”, aber ist in dem Sinne zu verstehen, als dass es eine Art Bestandsaufnahme unserer Geschichte bis dahin ist.
Erstaunlich ist, wie zusammenhängend das Album trotzdem klingt. Gab es einen Masterplan, einen roten Faden? Hattet ihr die Songs schon alle geschrieben, bevor ihr mit dem Aufnehmen der Singles angefangen habt?
Christian: Nicht wirklich. Wir waren auch überrascht – wahrscheinlich liegt es auch an dem später hinzugefügten Intro und dem bereits erwähnten “Dead Birds”, dass das Album homogener klingt, als es eigentlich ist.
Eine Art Bindeglied scheint allerdings tatsächlich vorhanden zu sein: “Mother Mary”, also die heilige Mutter Maria, taucht an mehreren Textstellen auf, und auch sonst finden sich einige christliche Motive, wie zum Beispiel “Get off your cross/ it’s hot today” in “Devil’s Country”…
Christian: Diese christlichen Anspielungen sind eher ein Zufall, auch wenn uns einige Kritiker schon vorgeworfen haben, wir wollten uns dem “God-Rock”-Markt anbiedern [lacht]. Die Texte stammen hauptsächlich von John Mark Lapham, und seine Mutter heißt tatsächlich Mary – also kann man es von der religiösen Warte aus betrachten, oder einfach als Referenz auf seine leibliche Mutter nehmen…
Eine andere Verwandte von ihm kommt auf skurrile Art in dem Song “One Of Us Is Dead” vor…
Christian: Ja, seine Großmutter. Es ist schon ein wenig bizarr: In Amerika können die Angehörigen nach Trauerfeiern Mitschnitte von den Grabreden auf Tape kaufen… Das tat John Mark, und einen Auszug aus diesem Tape kann man in dem Song hören.
Wer ist eigentlich dieser Paul Taylor, der die Liner Notes zum Album geschrieben hat? Da spielt Gott ja auch wieder eine Rolle – eine Menge Zufälle…
Christian: Ja, stimmt… Paul ist ein Freund von uns. Wir kennen ihn aus einer Bar, in der wir öfter trinken. Er ist eine Art gescheiterter Schriftsteller, der als Lehrer arbeitete. In den Sechzigern gab es viele Platten, auf deren Rückseite Texte von Leuten standen, die offensichtlich keine Ahnung von der Musik hatten, über die sie schreiben sollten – ja, diese oft eindeutig nie gehört haben. Zumindest hatten die Texte oft nichts mit der Musik zu tun. Und so etwas ähnliches wollten wir auch. Wir machten ihm keine Vorgaben und er schrieb drauflos, über ein Spiel aus seiner Kindheit etc. Und in der letzten Zeile kriegt er doch noch den Bogen zu uns…
“Just Like The Earlies do”…
Christian: Genau. Wir fanden das perfekt. Übrigens haben diese Liner Notes auch seiner Schriftsteller-Karriere Aufwind verschafft. Sie kamen so gut an, dass er aufgehört hat, als Lehrer zu arbeiten und jetzt an seinem unvollendeten Roman weiterschreibt! Es gibt sogar Interesse von Verlegern…
Ein anderer Schriftsteller taucht in deiner Thank-You-Liste auf dem Album auf: Kurt Vonnegut.
Christian: Ja, ich habe vor fünf Jahren “Slaughterhouse Five” gelesen, und fand es fantastisch. In dem Buch beschreibt er die Bombardierung Dresdens aus Sicht eines Zeitreisenden und entlarvt die Sinnlosigkeit dieser ganzen Kriege so brillant. Ich bin übrigens halb deutsch.
Ja, mir wurde vor dem Interview erzählt, du sprächest ein “astreines Deutsch”.
Christian: Oh, nein, als ich jünger war, schon, aber das meiste habe ich verlernt. Nächste Woche werde ich aber meine Oma in der Nähe von Darmstadt besuchen – und hoffentlich mein Deutsch etwas auffrischen.
Gewissermaßen “Apropos deutsch”: Bei uns erscheint “These Were The Earles” ja auf ‘Grönland’, dem Label das Herbert Grönemeyer gegründet hat. Kanntet ihr ihn vorher oder habt ihr ihn schon mal getroffen?
Christian: Äh, nein… Ist er einer von Neu!? [Anm.: legendäre Krautrockband, deren Platten auf ‘Grönland’ wiederveröffentlicht wurden]
Nein, nicht wirklich. Aber ich glaube, er ist großer Neu!-Fan. Er ist ein ziemlich erfolgreicher deutscher Pop-Musiker. Also habt ihr nie von ihm gehört?
Christian: Nein, nicht wirklich…ich werde mal Giles [Hatton, zweites Earlies-Kernmitglied] fragen… [ruft in den Nebenraum:] Giles, weißt Du irgendwas über den Typen, dem ‘Grönland’ gehört?
Giles [Aus dem Nebenraum]: Nur, dass er ein deutscher Pop-Star ist.
Er ist einer der bestverkaufenden deutschen Pop-Musiker.
Christian: Alright!
Und hat in den letzten Jahren einige Projekte wie z.B. ‘Pop 2000’ gestartet, ein Box-Set, das einen Überblick über die deutsche Pop-Geschichte gibt. Dazu kommen dann besagte Wiederveröffentlichungen von u.a. Neu! Und außerdem sind noch ein paar aktuelle Bands auf dem Label. Wie kam der Kontakt zu ‘Grönland’ eigentlich zustande?
Christian: Eine befreundete Band namens Half Cousin ist auf dem Label. Wir tourten mit ihnen, und als die Leute von ‘Grönland’ erfuhren, dass unser Album in Europa noch nicht zu haben war, fragten sie uns, ob sie es rausbringen könnten. Wir sagten: “Klar!”
Wie sieht es denn, bei der Gelegenheit, mit einer Deutschland-Tour aus?
Christian: Eigentlich war angedacht, dass wir bei der Popkomm hätten spielen sollen. Aus verschiedenen Gründen hat das nicht geklappt, und so gibt es vorerst keine definitiven Pläne. Aber wir werden definitiv versuchen, zu kommen – schließlich sind wir alle große Fans des deutschen Biers!
Interview & Text: Torsten Hempelt
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