Kanye West und Jay-Z verteidigen den HipHop-Thron mit Selbstverherrlichung und imponierenden Samples. “Watch The Throne” untermauert – im Guten wie im Schlechten – ihren Status als Mainstream-Schwergewichte.

Ob Bitches, Nigger, Schwuchteln oder Bullen – alle haben ihr Fett wegbekommen. Es wird gelutscht, ejakuliert und masturbiert. Der Hass wird mit wehenden Fahnen hoch gehalten, hier und dort jemand umgebracht und auch die eigenen Suizid-Gedanken durften nicht fehlen. Dass dieser Komplexe-Komplex eben nicht von den MC-Akrobaten Jay-Z und Kanye West stammt, sondern von Tyler, The Creator, darf durchaus als Sinnbild für den Status Quo des HipHops interpretiert werden. Was fehlte, war der urbane Rap, das Derbe, das Rohe, die dreckige Anbiederung, ohne gleich als Role-Model verschrien zu sein. Doch mit den diesjährigen Senkrechtstartern der Tyler-Possy, Shabazz Palaces und Death Grips verkörpert das Jahr 2011 die Wiederbelebung alter Tugenden.

Was die beiden Schwergewichte von ihren Widersachern halten, macht der Name ihrer Kollaboration mehr als deutlich: mit 75 Millionen verkauften Platten und 27 Grammy-Awards schwingen Jay-Z und Kanye West ihr vergoldetes Zepter vom HipHop-Thron. Und der Medienrummel um “Watch The Throne” gibt ihnen Recht, denn während bei ihren Kollegen der Hype-Vulkan lediglich zögerlich brodelte, so spie der Koloss bei den beiden Popstars bereits vor der Veröffentlichung riesige Fontänen aus. Doch ist die Sound-Lava erst einmal vergossen, so bleibt eine getrocknete Masse zurück, die sowohl wunderschöne Skulpturen als auch massenkompatiblen Schrott hervorbringt.

The Throne – “Otis” (feat. Otis Reddding)


Als selbsternannte Oberhäupter eines Genres, das sich mitunter durch die notwendige Stinkefinger-Attitüde und protzender Chuzpe definiert, überrascht es auch nicht, dass sich die Herren zunächst ein materialistisches Selbstverherrlichungsbad gönnen. “What’s 50 grand to a motherfucker like me” trägt Jay-Z dick auf, ehe Kanye beinahe drohend folgt “You are now watching the throne, don’t let me get in my zone”. “Niggas In Paris” kolportiert: Wir sind die Krassesten, Dopesten und Geilsten – schon klar. Auch im vorab veröffentlichten “Otis” wird den eigenen Karren, kubanische Zigarren und Privatjets gehuldigt. Ein Song der, jenseits aller Ohrwurm-Tauglichkeit, wie kein zweiter das Dollarzeichen dieses Albums reflektiert, gehört doch das Sample von Otis Redding sicherlich nicht zu den Billigsten des Business. Allein das darf, angesichts der wirtschaftlichen Situation ihrer Landsgenossen, als blanker Hohn diffamiert werden. 

Und wer die Kohlen auf der hohen Kante hat, der leistet sich auch gerne mal mehr als zehn Produzenten und eben noch mehr Samples. Neben Soul- und Funkklassikern wie Otis, James Brown oder Curtis Mayfield wird auch im Dubstep (Flux Pavilion) oder House (Cassius) gewildert. Die gelungenste Wiederverwertung ist auf “New Day” zu hören. Nina Simones “Feeling Good” bildet hier nicht nur blinkendes Beiwerk, sondern entwickelt die Vorlage für die ernsteren Worte des Albums. Beide Rapper entschuldigen sich bei ihren ungeborenen Söhnen für die Bürde ihres Lebens: “Sorry junior, I already ruined ya / cause you ain’t even alive, paparazzi pursiun’ ya / sins of a father make your life ten times harder”, bedauert Jay-Z. Da bekommt man fast Mitleid – in Reichtum aufzuwachsen, muss wirklich schrecklich sein. Nein, ehrlich: Gerade wenn die Beats von RZA auf die Reime des Duos treffen, versprüht der Track eine Nachdenklichkeit, die man so nicht unbedingt erwarten konnte.

Kanye West und Jay-Z sind zwei erfolgreiche Schwarze in einer amerikanischen Gesellschaft, die jeglichen Respekt in der öffentlichen Debatte vermissen lässt, sodass einige sie noch immer als Künstler zweiter Klasse ansehen. Auch dagegen rappen sie an: im episch-orientalischen “Murder To Excellence” vergleichen sie nicht nur die Mordrate in Chicago mit den Toten im Irak, sondern setzen sich mit den Black Panther und Danroy Henry, einem 20-jährigen Studenten, der von der Polizei erschossen wurde, auseinander. Doch obschon die Platte ihre Momente hat – wenn etwa Bon Ivers Justin Vernon auf “That’s My Bitch” mit einer souligen Funk-Bridge brilliert –, gelingt es “Watch The Throne” zu keinem Zeitpunkt eine Stringenz zu erzeugen, die einen roten Faden erkennen lässt. Auf eine Autotune-geschwängerte Eröffnung folgt Beyoncé, die uns selten dämliche Zeilen wie “Take it to the moon / take it to the stars / how many people you know get this far” entgegen plärrt. “Lift Off” ist einer dieser Songs, die Pflanzen zum Welken bringen.

The Throne – “Murder To Excellence”

Für Jay-Z ist The Throne eine nicht unerhebliche Evolution, wohingegen Kanye mit seinen Fähigkeiten am letztjährigen Opus “My Beautiful Dark Twisted Fantasy” andockt. Wer ein Battle zwischen den beiden Artists erwartet hat, wird bitter enttäuscht. Es geht nicht darum, dass Jay-Z der bessere Rapper, und auch nicht darum, dass Kanye ein großartiger Produzent ist. “Watch The Throne” ist ein überzeugender Wurf, ein Pop-Rap-Album, das den Mainstream-Erfolg untermauert. In erster Linie zelebrieren sie ihren eignen Status. Vertonter Ego-Fetischismus zweier Reizfiguren, die man verachten, ignorieren oder bejubeln kann. Gründe für diese drei Optionen gibt es genug.

Sebastian Weiss

: 12.08.11

Label: Def Jam / Universal

Tracklist:
01. No Church In The Wild (feat. Frank Ocean)
02. Lift Off (feat. Beyoncé)
03. Niggas in Paris
04. Otis (feat. Otis Redding)
05. Gotta Have It
06. New Day
07. Prime Time
08. Who Gon Stop Me
09. Murder to Excellence
10. Welcome To The Jungle
11. Sweet Baby Jesus (feat. Frank Ocean)
12. Why I Love You (feat. Mr Hudson)

Bonus Tracks:
13. Illest Motherfucker Alive
14. H*A*M
15. That’s My Bitch
16. The Joy (feat. Curtis Mayfield)