Farin Urlaub, 41, Frontmann von der Die Ärzte, Motorradfreund und ständig auf Reisen, veröffentlicht mit “Am Ende Der Sonne” seine zweite Solo-Platte, die sogar noch spontaner und lauter als den Boxen rollt als sein Solo-Debüt! Jan Vetter aka Farin Urlaub erklärt im großen Motor-Interview die Details zu seinem neuen Album, warum er niemals in die Midlife-Crisis kommt und dass es auch musikalische Gründe gibt, warum er auf seiner bevorstehenden Tour ausschließlich mit Frauen auf der Bühne steht.

Sind alle Songs “Am Ende der Sonne” komplett neue Stücke oder gibt es auch Überbleibsel vom ersten Album?
Nein, gar nicht. Null. Alles komplett neu und ausschließlich fürs dieses Album geschrieben. Das war, wie vieles, anders als beim ersten Album. Ich habe diesmal beispielsweise auch über einen Zeitraum von anderthalb Jahren aufgenommen – immer in den Pausen von Deranderenband – und das hat insgesamt fünf Monate gedauert, was für mich echt verdammt lange ist.

Musstest du da mental irgendeinen Schalter umlegen?
Nee, gar nicht. Wenn du mit Leuten beruflich oder privat redest, musst du ja auch nicht lange überlegen, was du sagst. Das funktioniert ganz natürlich. Soll jetzt aber nicht heißen, dass Die Ärzte mein Beruf sind und das Solo-Album mein Privatleben – aber für mich ist der Unterschied einfach klar, ohne dass ich darüber nachdenken muss.

Die Platte beginnt mit einer japanischen Begrüßung, kannst du uns die bitte mal übersetzen?
“Guten Tag und Willkommen auf diesem wunderschönen Album und viel Spaß.”

Hast du schon mal darüber nachgedacht, dein Platten auch in Japan zu veröffentlichen?
Nö, die interessieren sich da sowas von gar nicht für uns. Wir haben in Japan mal mit Die Ärzte eine Auflage von 2.000 Stück veröffentlich, davon wurden 1.200 nach Deutschland verkauft. Aber das ist auch okay so. Ich mache ja lieber im Ausland Urlaub, als dass ich da Rockstar bin.

Das Album heißt “Am Ende der Sonne” – und die Sonne taucht auch immer wieder in den einzelnen Songs auf. Warum?
Die Sonne ist tatsächlich für mich einmal ein Symbol für alles, was ich am Verreisen schön finde. Ich war allerdings selber unfassbar stolz darauf – ich muss ja immer sagen, wie toll ich das so finde, auch wenn das nicht sonderlich bescheiden klingt – dass ich sie in dem Song “Sonne” negativ belegt habe. Eigentlich ist alles Schöne für mich irgendwie Sonne, und das dann auf einmal mit dem Tod in Verbindung zu bringen, die Sonne zu verfluchen, fand ich eine schöne Idee. Ich habe mich dann so in den Song verliebt, dass ich dachte, “Sonne” müsse auch im Albumtitel auftauchen – sonst hat das aber keinen tieferen Sinn.

Welcher Gemütszustand ist denn zum Schreiben der beste?
Diese Frage stellt sich so nicht, weil ich Songschreiben nicht als aktiven Akt erlebe. Das Lied schreibt sich praktisch selber – es kommt einfach so raus. Das ist so ein bisschen wie beim Kacken, du merkst da ist was… Und damit ist bewiesen: Meine Songs sind kacke! Nein – kognitiv wird es erst, wenn ich sie bearbeite. Also dann, wenn ich aus einer kleinen Zeilenidee einen Text mache. Dann setze ich mich hin und arbeite; dafür ist es allerdings scheißegal, in welcher Stimmung ich bin. Ich bin ein ziemlich ausgeglichener Mensch, mir geht es meistens gut. Das hängt natürlich mit dem unglaublich luxuriösen Leben zu tun, was ich so führe, und das meine ich jetzt wirklich ernst. Ich habe keine existenziellen Probleme, aber ich konnte auch schon Lieber schreiben, als ich die noch hatte. Ich kann wütend sein oder glücklich, das beeinflusst den Text höchstens minimal und die Musik überhaupt nicht. Sie hat ein Eigenleben in meiner Gefühlswelt.

Wenn man das neue Album hört, könnte man vermuten, dass es das ein oder andere Mal Beziehungsärger gab…
(lacht) Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Wenn ich einen Text schreibe, versuche ich mich in jemanden hineinzuversetzen, den ich mir ausdenke. Wie ein richtiger Autor, also jemand, der Bücher schreibt: Figur X passiert das und das, wie würde er/sie sich fühlen? Das ist auch ganz gut so, denn gerade weil ich nicht involviert bin, sondern mir aus einem gespeicherten Katalog von Gefühlen etwas zurecht lüge und biege, bewahre ich mir den Abstand. So kann ich analysieren und mit meinen bescheidenen Mitteln Gleichnisse finden und lyrisch sein. Aber man muss ich keine Sorgen um mich machen, es geht mir ausgesprochen gut.

Kommt man mit so einem Leben, wie du es führst, auch um so Dinge wie eine Midlife-Crisis herum?
Vielleicht ist mein Leben eine einzige Bewältigung meiner Midlife-Crisis – kann ich nicht sagen. Ich kenne das Gefühl des “ich müsste eigentlich…” nicht. In dem Augenblick, in dem ich das denke, tue ich es. Egal, ob das ein extremer Urlaub ist oder der Wunsch, irgendetwas zu lernen. Das ist der superfantastische Luxus meines Lebens. Ich muss nicht an einer Drehbank stehen und mich nach einem Leben zu verzehren, das ich nie führen werde – ich bin mittendrin, es zu führen, und das ist cool. Wenn ich andererseits ein Album über das Leben machen würde, das ich führe, wäre es furchtbar langweilig. Die meisten Bücher, die mich interessieren, handeln von gebrochenen Charakteren, deshalb muss aber der Autor noch lange nicht auch gebrochen sein. Es ist einfach interessanter, über Probleme und Schwierigkeiten, Ängste, Nöte, Verzweiflungen und Unglücklichsein zu schreiben, als über Leute, denen es gut geht.

Ist diese gebrochene, unglückliche Person so etwas wie dein Alter-Ego?
Ich habe die Texte einer sehr engen Freundin vorgelesen, die mich dann gefragt hat, wo ich das alles hernehme. Sie kennt mich gut genug, um zu wissen, dass in mir nichts Depressives ist. Es kann natürlich sein, dass ich das alles in meinen Texten auslebe und dadurch der eigentlichen Depression entgehe. Aber ich hoffe und glaube auch, dass das eigentlich nicht so ist. Es ist meine Fantasie und ich kenne schließlich auch genug Leute, die die Sachen, die ich beschreibe, erleben. Ich bin froh, dass ich nicht dazugehöre. Das klingt jetzt vielleicht arrogant, ist aber erstens nicht so gemeint und zweitens bin ich wirklich glücklich darüber.

Bist du manchmal der Meinung, du denkst zu viel? Gehst zu verkopft an Dinge heran?
An manche Sachen bestimmt, aber ich glaube, die Musik gehört nicht dazu. Da hinke ich eher hinterher. Das Gefühl sagt, da will ich hin, und der Kopf muss dann zusehen, wie das funktioniert. Viele von den Sachen, die ich mache, sind sehr selbstbezüglich. Ich lese ein Buch über eine interessante Gegend, dann will ich dahin. Also fahre ich los und stelle fest, dass die Menschen dort eine spannende Sprache sprechen und beschließe, sie zu lernen. So geht das immer weiter. Ich bin einfach schrecklich neugierig und gehe damit vielen Leuten auf die Nerven. So wie diese Kinder, die immer “Warum?” fragen. Du kannst immer noch ein warum dranhängen – so bin ich halt in vielen Dingen.

Gibt es Bereiche, in denen du gerne emotionaler wärst? Und um die Brücke zu schlagen zu einigen Charakteren aus deinen Songs: Scheiterst du manchmal emotional an alldem, was du so in deinem Kopf hast?
Das ist eigentlich schon eine sehr private Frage. Ist manchmal so. Ich denke viel nach, aber das heißt nicht, dass ich furchtbar intelligent bin. Manche Leute setzen das aber voraus und ich werde oft überschätzt, was gefährlich ist. Mir wäre es lieber, wenn die Leute mich unterschätzen würden.

Würdest du das Album als musikalisch gewagt bezeichnen?
In einem Kontext in dem z.B. die Neubauten damals musikalisch gewagt waren – sicher nicht. Es ist weiterhin Gitarre, Bass, Schlagzeug, ich singe immer noch deutsch… Es war nur insofern ein bisschen gewagt, als dass viele Leute dem Ganzen mit einer Erwartungshaltung entgegentreten: Der lustige Farin mit seinen Ska-Liedern. Ist so.

Und warum rockt das Album so?
Weil ich ‘ne verdammte Rocksau bin.

Die Gitarren sind hart, rauh, im Vordergrund – bis auf den Song mit dem Klavier kommt man kaum zur Ruhe…
Genau deswegen ist er da – das war die gedachte Ruhepause. Das erste Album habe ich ja in einer Art Rausch aufgenommen, um überhaupt festzustellen, ob ich das kann. Ich konnte. Jetzt wollte ich es richtig machen mit allem Schnickschnack, für den bei den Ärzten meiner Meinung nach immer viel zu selten Zeit ist. Wenn es sein muss, nimmt man eben nicht nur fünf, sondern zehn Gitarren auf, und wenn das nicht reicht, dann macht man eben 15.

Empfindest du Die Ärzte experimenteller als Farin Urlaub?
Ja.

Und das soll auch so sein?
Also das “das müsste ich mal ausprobieren” würde ich eher bei den Ärzten machen, weil wir diese unglaubliche Bandbreite haben. Wir könnten ein Streichquartett-Song auf ein Album packen und die Leute hätten kein Problem damit. Meine Sachen sind dagegen eher die Verwirklichung einer bestimmten Vorstellung von Live-Konzerten. Es soll rocken wie Sau und trotzdem abwechslungsreich sein.

Gibt es eigentlich auch musikalische Gründe, warum man Frauen ins Studio und auf die Bühne holt?
Ins Studio habe ich diesmal nur die Sängerinnen gelassen. Das liegt aber nicht an der Qualität der Musikerinnen, sondern an meiner Arbeitsweise. Ich bin der Megaspießer, wenn es um meine eigenen Sachen geht. Ein typischer Farin-Urlaub-Studiotag sah so aus: Acht Uhr aufstehen, Sport treiben, spätestens um neun im Studio sein und so lange arbeiten, bis ich tot umfalle. Das kann ich niemandem zumuten. Außerdem bin ich wirklich ein Despot. Ich habe etwas im Kopf und möchte bitte, dass es auch genauso wird. Aber live ist es unglaublich angenehm, mit Frauen unterwegs zu sein. Du hast dieses Testosteron-Gebolze nicht. Ich kann das schwer erklären. Liebe Leute, wenn ihr nicht wisst, was ich meine: Gründet ‘ne Band und nehmt ganz ganz viele Frauen mit rein.

Wenn du in deine Zukunft schaust, was glaubst du, wird sich für dich ändern?
Was sich mit Sicherheit irgendwann ändern wird, ist der Rahmen, in dem ich Dinge tue. Vielleicht werde ich meine Platten bei einem obskuren Kleinlabel, also ‘Völker Hört Die Tonträger’ und ohne großen Vertrieb aufnehmen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Musik einmal kein Teil meines Lebens mehr ist, aber Rockstar sein wird ganz bestimmt mal nicht mehr dazugehören. Da ich aber genügend Hobbies habe, die jetzt zurückstehen müssen, mache ich mir keine Sorgen. Aber die Musik habe ich mir nicht ausgesucht, die kommt einfach raus. Und das wird sich sicherlich auch in Zukunft nicht ändern…

Text: Caroline Frey