Dänemark bläst zum musikalischen Großangriff. Bislang so etwas wie das Stiefkind der skandinavischen Szene, avanciert unser geschätztes Nachbarland ob diverser Vorzeige-Bands derzeit zum neuen Darling sämtlicher Musikgazetten. Für Kashmir könnte diese Entwicklung endlich den verdienten internationalen Durchbruch bedeuten. Nach über zehnjährigem Bestehen inklusive mehrerer dänischer Grammys sowie Gold- und Platin-Alben veröffentlicht das Kopenhagener Quartett nun mit ‘No Balance Palace’ seinen fünften Longplayer. Und der zeigt Kasper Eistrup (Gesang, Gitarre) und seine Kollegen in Bestform.

Was zu Zeiten des Vorgängers ‘Zitilites’ (2003) noch mehr Pop als Rock war, präsentiert sich 2005 zwar immer noch mit denselben unwiderstehlichen Melodien, dafür aber im Gitarren-lastigen, düster-melancholischen Gewand. Eine Folge der Zusammenarbeit mit Produzent Tony Visconti (T-Rex, Thin Lizzy), in dessen legendären New Yorker Looking Glass Studios das Album abgemischt wurde? “Nein”, meint Kasper, der an diesem Tag gemeinsam mit Keyboarder Henrik Lindstrand in der Berliner Label-Zentrale Rede und Antwort steht. “Nicht wirklich. Es war definitiv ein Nachhall des letzten Albums. Wir wollten eine rauere Ausstrahlung. Es passierte alles ganz natürlich.” So natürlich wie überhaupt alles im Kashmir´schen Mikrokosmos abzulaufen scheint. Während andere Künstler beispielsweise von Kollaborationen mit Musikgrößen im Format eines Tony Visconti nur träumen können, haben die Dänen gleich drei Großmeister der Rock-Historie auf ‘No Balance Palace’ versammelt. Neben Visconti gaben sich keine geringeren als David Bowie und Lou Reed die Ehre. Bowie singt eine Strophe des großartigen ‘The Cynic’, Reed rezitiert ein von Kasper verfasstes Gedicht. Überzeugungsarbeit war dabei offensichtlich bei allen dreien nicht nötig. Visconti bescheinigte Kashmir, er habe schon lange nach einer solchen Band gesucht, Bowie schlug von sich aus eine Zusammenarbeit vor, und Reed tauchte einfach eines Tages im Studio auf. Größenwahn wäre hier demnach eigentlich vorprogrammiert oder zumindest aber nachvollziehbar. Nicht so bei den vier Kunstschul-Absolventen. Deren Immunität gegen selbstverliebtes Rock-Star-Gehabe offenbart sich auch bei der Frage, ob sie sich im Zuge des Dänemark-Hypes nun eigentlich als Pioniere sähen. Henrik meint dazu: “Nein. Wir wissen, dass wir eine Inspirationsquelle waren für viele neue Bands. Einige kopieren auch beinahe den Sound, den wir auf den ersten Alben hatten. Ich bin mir nicht sicher, aber ich hoffe, dass wir eine Inspiration sind, wenn es um Integrität geht. Wir haben als Musiker und als Band unser eigenes Universum erschaffen.” Und Kasper ergänzt: “Ich finde es wichtig, sich selbst nie als Pionier zu sehen. Jeder und alles steht auf den Schultern von jemand oder etwas anderem.” Solche Bands braucht die Musikwelt. In diesem Sinne: Denmark is the new Sweden.

Text: Steffi Erhardt