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Jim Jarmusch stellte einst fest: "Vielleicht gerade einmal 2000 Leute haben damals eine Platte von Velvet Underground gekauft. Und jeder von ihnen hat eine Band gegründet." Am 27. Oktober ist Lou Reed im Alter von 71 Jahren in New York gestorben. Das bestätigten seine Agenten gegenüber der britischen Tageszeitung "The Guardian". Als Gründungsvater, Mastermind und Kreativ-Querulant der legendären The Velvet Underground hinterlässt er weit mehr als 50 Alben, verschiedenste hochkarätige Kollaborationen und mit seiner verkopft-brillianten Art des Songwritings eines der wichtigsten Stücke Musikgeschichte der letzten vier Dekaden. New York habe eines seiner größten Geschenke verloren, twittert Hip Hop-Produzent Russel Simmons. "Ich hatte seine Platten, als andere Kinder in meinem Alter immer noch Elton John hörten", schreibt Social Distortion-Sänger Mike Ness via Facebook. "Die Welt hat einen großartigen Songwriter und Poeten verloren… Ich habe meinen Schulhofkumpel verloren", äußert Velvet Underground-Mitbegründer John Cale.
Lou Reed war in seinem musikalischen Schaffen stets unberechenbar, ließ sich von niemandem in seine Arbeit reinreden und war seiner Zeit konsequent einen Schritt voraus. Gemeinsam mit John Cale gründete er 1965 die Band The Velvet Underground. Pop-Art-Künstler Andy Warhol verhalf ihnen mit seinem Coverartwork und der Produktion ihres Debütalbums erstmals zu größerer Bekanntheit. Mit "The Velvet Underground & Nico" öffnete Reed die Rockmusik maßgeblich in Richtung Avantgarde und war mit seinem Sound sowie den grimmig-düsteren und kontroversen Texten stets ein Konterpart in Zeiten der Flowerpower-Ära und darüber hinaus. Geboren als Sohn eines Steuerberaters aus Long Island, wurde Lewis Allan Reed sehr konservativ und mit harter Hand erzogen. Seine homoerotische Neigung versuchten ihm seine Eltern mittels Elektroschocktherapie auszutreiben. In Songs wie "Kill Your Sons" vom 1974er Album "Sally Can't Dance" verarbeitete er diese Erinnerungen. Aber auch "Make Up" oder einer seiner berühmtesten Songs "Walk On The Wild Side" von der 72er Solo-LP "Transformers" sind Reminiszenzen dieser Zeit.
Mit The Velvet Underground legte Lou Reed Mitte der 1960er den Grundstein seines künstlerischen Schaffens. Damals noch als schlecht bezahlter Auftragsschreiber für ein New Yorker Plattenlabel tätig, lernte er den Pianisten und Bratscher John Cale kennen. Unter dem Namen "The Primitives" begannen sie mit ersten Songs, über eine gute Freundin gelangten beide schließlich an Andy Warhol, der sie mit der deutschen Schauspielerin und Sängerin Nico zusammenbrachte. Dunkel, teils abstrus, ausufernd und wie vom Rausch besessen, lieferten The Velvet Underground ihre Liveshows ab. Das Lärm-Gewitter, untermalt mit Reeds ausdruckslosem, ja fast gleichgültig anmutenden Organ, kam im Zuge der harmonieabhängigen Flowerpower-Bewegung einer kreativen Kriegserklärung gleich. Nach zwei gemeinsamen Alben verstritten sich Cale und Reed Ende der 1960er und fanden erst nach dem Tod Warhol's 1990 für das grandiose "Songs For Drella" zusammen, 1993 folgte zudem eine kurze und einmalige Reuniontour von The Velvet Underground.
Lou Reed war zweifelsfrei einer der vielseitigsten Musiker seiner Zeit, er stagnierte an kaum einem Punkt seines Schaffens und verlor nie die Lust an Experimenten. Wie kaum ein anderer beherrschte er die Balance zwischen musikalischer Zerstörung, dem kompletten Exzess, leidenschaftlicher Dissonanz, schier anarchischer Soundforschung und auf der anderen Seite Liebkosung, Gefühl und seinem Händchen für Melodie, Pop und eigene Eleganz. Es ist der unglaubliche Spagat zwischen Nerv und Glückseeligkeit, dem er seiner Hörerschaft auslieferte. Mit "Metal Machine Music" entwarf Reed 1975 ein schon fast als wahnsinnig zu betitelndes Doppelalbum, das ausschließlich aus Rückkopplungen bestand. Nur ein Jahr später präsentierte er auf "Coney Island Baby" das komplette Gegenteil. Vermutlich war Überforderung der Grund, weshalb die Kritk diesem poporientierten Albumzyklus nach seinem Krach-Manifest eher abweisend gegenüber stand.
Trotz dem äußerst energischen Agieren innerhalb seiner Bands, wo er Mitmusikern gegenüber zu keiner Zeit ein Blatt vor den Mund nahm oder sich zurückhielt, wenn ihm etwas missfiel, war Reed dennoch ein Teamplayer und Kooperationen stets aufgeschlossen. Als Beweis dafür sei das in Gänze kaum am Stück hörbare "Lulu" aufgeführt, das er 2011 als nunmehr letzte Veröffentlichung gemeinsam mit Metallica aufnahm und welches zu den heftigsten Debatten und Hasstiraden des Erscheinungsjahres führte. Anders als seine Kooperationen mit The Killers für "Tranquilize" oder auch "Some Kind Of Nature", das er mit den Gorillaz aufnahm, bildeten die Basis für "Lulu" ausschließlich Reeds Texte und eine bereits im Vorfeld von ihm fertiggestellte Inszenierung.
Am 27. Oktober 2013 ist Lou Reed nach derzeitigem Stand vermutlich an den Folgen einer Lebertransplantation gestorben. Trotzdem er nie den kommerziellen Erfolg von Songwritern wie etwa Bob Dylan teilte, beeinflusste er mit seinem Schaffen, wie Jim Jarmusch einst völlig richtig feststellte, unglaublich viele Menschen und Musiker. Es ist nicht auszudenken, welche Bands vermutlich nie einen Proberaum betreten hätten, wenn Lou Reed nicht gewesen wäre.
"There are problems in these times, but none of them are mine. I'm beginning to see the light." (Beginning To See The Light, "The Velvet Underground")
alex beyer
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