Die Kanadier, schon wieder… Ein Tausendsassa tausendsässiger als der nächste. Kaum ein Mensch aus dem Land „North of America“, der nicht mindestens in drei Bands spielt, oder zumindest Kunst studiert, in der Freizeit Filme dreht und ein vegetarisches Restaurant oder eine Weinkelterei betreibt… aber ich schweife ab. Jedenfalls macht Joel Gibb da keine Ausnahme: Nicht nur, dass er der Chef der Hidden Cameras ist, er schreibt alle ihre Songs, entwirft auch noch alle Cover selbst und choreographiert die Auftritte. Dass dabei auch Mitglieder von Bands wie der Broken Social Scene zum Einsatz kommen, versteht sich beinahe von selbst – schließlich hat Kanada auch nur eine begrenzte Zahl von Einwohnern. Im Gegensatz zu den Hidden Cameras übrigens, die mit Ausnahme von Joel ein häufig wechselndes Ensemble beinhalten.
Wie dem auch sei, der Erfinder der „Gay Church Folk Music“ – und, ja: die von Joel erdachte Bezeichnung passt schon! – ist jedenfalls überraschend und vorübergehend zum Berliner geworden – „Warum? Weil ich mein ganzes bisheriges Leben in Toronto verbracht habe!“ Im Zuge dieser Exkursion hat er in Mitte, Prenzlauer Berg und – man staune – Neukölln gewohnt! Dass er damit dem Berliner Problemb…ezirk par excellence eine Stippvisite abgestattet hat, dessen war der smarte Endzwanziger sich bislang oder gar währenddessen gar nicht bewusst: „Wirklich? Haben die auch Metalldetektoren am Schulhof-Eingang und so?“ Nein, haben sie noch nicht. Aber inzwischen hat sich der Wohnsitz an der Spree auch als einigermaßen unpraktisch erwiesen – residiert die überwiegende Mehrzahl der Mitmusiker doch in Kanada.
Und jetzt, wo es mit der neuen Hidden Cameras-Platte „Awoo“ ernst wird, gilt es, sich derselben ganz zu widmen. In Kürze wird sich die komplette Bande versammeln, um zu proben – und ab September dann mit „Awoo“ auf Welttour zu gehen, „Awoo“? Genau – „Das könnte alles sein; Hundegebell, oder einfach nur ein ursprüngliches Geräusch, jenseits der Sprache – ich finde den Gedanken interessant, dass möglicherweise mehr Wahrheit in Wörtern steckt, die keine eigentliche Bedeutung haben…“
Vielleicht steckt die wahre Bedeutung des Lebens aber auch in der Musik – und selbst wenn nicht: Ein so fröhliches und melancholisches Holterdipolter wie dieses „Awoo“ muss man wohl erst mal zustande kriegen. Da kommen Songs wie „Death Of A Tune“ angaloppiert wie junge Pferde (mit gut gelaunten Belle UND Sebastian im Sattel) , wird in „She’s Gone“ die Verschmelzung mit der eigenen Negativität verkörpert durch den eigenen Schatten bejubelt (ah!), und schließlich im Titelsong der „süße Quark der eigenen eingeschriebenen Eigenschaften“ [„How sweet is the curd of my own written qualities“] gefeiert – wie bitte? „Da geht es um die menschlichen Eigenschaften, die in de DNA verankert sind – der unausweichliche Unsinn! Mich beschäftigen die wesentlichen Dinge: Der Körper, der Geist, die Seele, der Tod, der Sex – das wär’s. Oh, Sprache… Aber das war’s dann wohl.“
Bleibt – neben unzähligen, angesichts der Musik eigentlich unwichtigen – eigentlich nur eine Frage, diesmal allerdings gestellt von Joel an seinen hiesigen Gesprächspartner: „Wie buchstabiert man Quark?“
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