Mit euphorischem Pathos und beißender Ironie bildet Deutschlands Unterhaltungshäuptling Rainald Grebe die Gesellschaft mit Chai Latte, Dinkelbier und Wellnesshotels ab. Und verrät sein Erfolgsrezept: “Wer skypt, der bleibt.”

(Foto-Quelle: Jim Rakete)

Rainald Grebe puzzelt sich seinen Humor zusammen. Der Kleinkünstler arbeitet mit einer unorthodoxen Zetteltechnik – kleine Blättchen und Notizen liegen wild verstreut in seiner großen Berliner Wohnung. Überall. Auf ihnen stehen Satzfetzen wie “Nenn mir vier schwule Flüsse: Rhein, Inn, Main, Po” oder auch “Liebe Nutten, liebe Nonnen / Wahlen werden in der Mitte gewonnen.” Es sind Floskeln, Überschriften aus Zeitungen, Slogans oder Dialoge aus Berlin-Mitte – der Zeitgeist verleiht ihm die ironische Sprache. In der S-Bahn las er auf den Info-Bildschirmen “Brad Pitt ist in der Stadt” sowie “Die Wölfe kehren zurück nach Brandenburg” und machte daraus eine seiner bekanntesten Hymnen. Erst saugt er alles auf, danach schiebt er diese Schnipsel hin und her, bis sie für ihn einen Sinn ergeben.

Der 1971 in Köln geborene Sprachjongleur ist mit der Ravensburger Methode dem Phänomen Gesellschaft auf der Spur. In seinen Liedern bildet er die divergierendsten Welten des Gemeinwesens ab. Es sind Sub-Systeme, die hier als Parallelgesellschaft beschimpft, dort als Abschaum etikettiert werden. Als Großstadtmensch beschäftigen ihn seit jeher, vor allen Dingen durch seine Tourneen, die kleinen Örtchen der Republik. Die Umgebung nicht nur als trivialen Umstand betrachtend, zieht Grebe seine Inspiration aus der Alltäglichkeit. Es geht um das Deutschsein – so deutsch wie Chai-Latte to go, Be Berlin und Simplify-Your-Life-Lebensratgeber eben sind.

Rainald Grebe & Die Kapelle der Versöhnung – “Dreißigjährige Pärchen” (Live)

Mit einer skurrilen Pedanterie protokolliert er das Land: Ob das Treiben der homogenisierten Fußgängerzonen (“Deichmann, Subway, Yves Rocher – das ist die Fresse der BRD”) oder postmaterialistische Szenerien (“Ich sah Trümmerfrauen mit Schokolade im Gesicht / unter Adenauer gab es so was nicht / Ich stand in diesem Wellnesshotel / Und ich hatte das Gefühl / 60 Jahre Frieden sind zuviel”) – Rainald Grebe verbindet Tragikomik mit intellektuellem Zynismus, so wird das Gängige zum Absurden, das Offensichtliche zum Brüskierenden.

An dem Umstand, dass er in einer provinziellen, westdeutschen Reihenhaus-Siedlung aufgewachsen ist, arbeitet er sich ebenso ab, wie an den Themen Ost und West, Reichtum, Heimat und Politik. Er ist Bildungsbürgerkind. Sein Vater war Professor für Buchkunde, die Mutter Religionslehrerin. So kommt es, dass er gerne mal Adorno und Horkheimer zitiert oder Querverweise zu Rio Reiser einbaut. Und obwohl der Pianist die Republik mit “Brandenburg”, “1968” oder “Dreißigjährige Pärchen” singend eroberte, ist er im Herzen ein Kind des Theaters. Vier Jahre studierte er in Berlin Schauspielkunst, diplomierte im Fach Puppenspiel, war Regisseur, Schauspieler und Dramaturg in Jena. Mit diesen Wurzeln erschafft Grebe fortwährend neue Figuren. In seinem Lebenswerk spielen Magersüchtige (Pia), Schüchterne (Wolfram), arme Ossis (Miriam, Mike), Spaßbremsen (Dörte), Arbeitssüchtige (Bernd) und Fettleibige (Rolf) die Hauptrollen.

Rainald Grebe – “Bernd” (Live)

Die Historie und das Zeitgeschehen im Blick, hält er der Gesellschaft den Spiegel vor. Dabei karikiert sich der Liedermacher auch immer selbst, wenn er zum Beispiel davon singt, massenkompatibel zu sein. Ja, der 40-Jährige ist ein Produkt der Kulturindustrie. Denn wie klein ist ein Kleinkünstler noch, wenn 16.000 Menschen wegen ihm in die Berliner Waldbühne pilgern und dort, statt seiner Band, die Kapelle der Versöhnung, ein ganzes Orchester mit über 100 Beteiligten erleben? Aus diesem Grund wird der Feuilleton-Liebling seit Kurzem auch mit Mario Barth verglichen. Dass Grebe jedoch nicht nur auf Pointen überwunden geglaubter Klischees setzt, sondern vielmehr Themen der Zeit aufgreift, zeigt sein neues Programm “Zurück Zur Natur”.

Rainald Grebe & Die Kapelle der Versöhnung – “Angeln”

In Gegensatz zum variantenreichen Vorgänger kehrt er nun wieder zum Konzeptalbum zurück. Und auch wenn die neuen Tracks (einige stammen von älteren Alben und zwei Theaterstücken) nicht beim ersten Hören die gewohnte Bissigkeit hinterlassen, so greift der Liedermacher die omnipräsente Zivilisationsmüdigkeit der Stadtmenschen auf. Dort herrsche zwar Anonymität, doch sei die Modekrankheit Burnout nicht weit: “Jeder Zweite hat ne Galerie / jeder Zweite macht ne Therapie / viele machen beides”. Allerdings wäre Grebe nicht Grebe, wenn nicht auch die von Hahnengesängen überzogene Idylle sein Fett wegbekommen würde: “Der einzige Grund nicht aufs Land zu ziehn / ist doch die Landbevölkerung”. Der Wahl-Berliner kann sich ein Leben ohne Blauwale vorstellen, betont jedoch sein Recht auf einen konstanten Meeresspiegel. Es ist das Paradoxe, das Widersprüchliche, das Abstruse, das Grebe zum besten deutschen Kabarett/Comedy-Zwitter macht.

Rainald Grebe & Die Kapelle der Versöhnung – “Aufs Land”

Nach klassischen Folk- und Volksliederideen, tobte Grebe sich im Blues und Rock’n’Roll aus, probierte sich selbst am Funk. Für die neue LP kommen nun einige bemerkenswerte Rap-Einlagen hinzu. Ingesamt fehlt “Zurück Zur Natur” ein wenig der rote Faden. Wie sollte es auch anders sein, ist dieser doch nun grün. Und da wären wir wieder bei seinem Lieblingsthema: der ökobewusste Mittelstand, der “Bionade-Biedermeier” mit seinen Putzfrauen und Klebevögeln an den Fensterscheiben. Wer sich bevorzugt mit einer Klientel auseinandersetzt, der wiederhole sich zunehmend, bleibe im Ewiggleichen stecken, meinen die Kritiker. Die Lobhudeleien heben ungebrochen seinen intellektuellen Zeitgeist hervor. Recht haben beide. Wir leben in einer reproduzierenden Zeit, in der Copy & Paste zum unabdingbaren Handwerk avanciert ist. In erster Linie bildet der Humorist nur die Wirklichkeit ab und dass diese jede Menge Steilvorlagen liefert, macht er uns immer wieder bewusst. Wenn sich jemand wiederholen darf, dann Rainald Grebe. 

Sebastian Weiss

Rainald Grebe & Die Kapelle der Versöhnung: 
“Zurück Zur Natur”

: 02.09.11

Label: Versöhnungsrecords

Tracklist:
01. Autonomie
02. Aufs Land
03. Am Ofen
04. Jahrhundertkatastrophe
05. Landleben
06. China
07. Böses CO2
08. Sachsen
09. Blauwale
10. Alles richtig gemacht
11. Der Rabe
12. Häuptling Pupille
13. Ausleben
14. Bronzezeit
15. Cassettenrecorder
16. Burnout