Rick Rubin, der anerkanntermaßen wichtigste Netzwerker im US-Rock, ist neben seinem zuletzt etwas vernachlässigten Gespür für neue Talente (System Of A Down) gemeinhin bekannt als der Mann, zu dem halbbekannte oder volletablierte Musiker gehen, wenn sie Sehnsucht nach Veränderung haben und diese aus eigener Kraft nicht bewirken können. Rubin legt sich dann, so will es die Legende, ein bisschen auf die Couch, hört zu, und – zack! – geht es für seine Klienten in eine ganz neue und meist aufregendere Richtung. Wer sich den Entwicklungssprung zum Beispiel der Red Hot Chili Peppers von „Mothers Milk“ zu „Blood, Sugar, Sex, Magik“ noch einmal vergegenwärtigt, wird nie wieder behaupten, die Rolle von Produzenten im Rock sei überbewertet. Schon jetzt wartet alle Welt gespannt auf das kommende und von Rubin betreute Metallica-Album weil man instinktiv weiß: es wird gut.

Neuerdings traut man dem Mann, der die Karriere von Johnny Cash rettete, gar zu, wenn nicht gleich die komplette Musikindustrie so doch wenigstens das altehrwürdige Columbia Label vor dem endgültigen Niedergang zu bewahren. Seit Mai ist Rubin dort zweiter Mann. Schnell hat er sensationell erkannt: Das gegenwärtige Geschäftsmodell ist endgültig am Ende, und so lange kein neues gefunden werde, würde der Niedergang sich fortsetzen. Als erste Amtshandlungen rekrutierte er eine ganze Praktikantenarmee von den besten Universitäten des Landes und analysierte gemeinsam mit ihnen die Pop-Konsumgewohnheiten heutiger Generationen. Dabei kam raus, dass die zurzeit noch wenig frequentierten weil kaum angebotenen Abo-Services nach Napster-Vorbild, sofern ohne DRM, bei der Jugend hoch im Kurs stehen und die Kunde von neuer Musik vornehmlich per Blog und Mund-zu-Mund-Propaganda die Runde macht. Während zumindest in den USA klassische Medien, also Print, Radio etc, offenbar keine Rolle mehr spielen. Damit die Plattenfirma angesichts dieser Entwicklung auf Ballhöhe zur Zielgruppe bleibt, sollen die Elite-Praktikanten zu Dauereinrichtung werden, um im Dienste des Labels Blogs vollzuschreiben und Opinion Leader zuzutexten. Fantastische Aussichten: Labelgesteurte Schwätzer und sprachohnmächtige Blogger mit Fan-Attitüde übernehmen endgültig die Meinungshoheit in der Pop-Kritik.

Des Weiteren will Rubin erkannt haben, dass vor allem die nachlassende Qualität der von den großen Plattenfirmen produzierten Alben schuld an der Misere ist. Für seinen Geschmack kapriziert sich die Branche zu sehr auf die Krise anstatt ordentliche und mutige Musik zu veröffentlichen. Das alte Lied: Seit die Controller bei den Labels das Kommando übernahmen und den Typus des hemdsärmeligen Musik-Tycoons alter Schule alá Ahmed Ertegun ersetzten, wird nichts Vernünftiges mehr produziert.

Um hier in Zukunft zumindest bei ‚Columbia’ Abhilfe zu schaffen, stellte Rubin zahlreiche Vertraute ein, die aber statt hochtrabender Angebernamen überhaupt keine Berufsbezeichnung mehr haben. Er wolle nicht die alte Hierarchie durch eine neue ersetzen, hat Hippie Rubin hierzu verkündet. Bevor er den heiklen Job übernahm hat er sich übrigens ausgedungen, niemals einen Schreibtisch beim Konzern einrichten zu müssen. In Meetings und anderen Gesprächen tut Rubin nun vor allem das, was ihn auch als Produzent auszeichnet: Er hört zu. Die Thesen Rubins – eines haben sie bislang mit anderen Stellungsnahmen zum Thema gemein: Das Problem ist erkannt, der Patient so gut wie tot, aber ein Rezept für die heilende Medizin hat keiner in der Schublade. Was immer noch fehlt, ist eine Vision, die diesen Namen verdient.