“We are young, we are green, keep our teeth nice and clean” sang das Trio Supergrass in ihrem 1994er Überhit “Alright” und die damals noch im Teenageralter befindliche Band war damit eine der heißesten Entdeckungen der grade angesagten Brit-Pop-Welle. Seitdem verfolgt sie das Image der lustigen Spaßmacher die nichts – erst recht nicht sich selbst – ernstnahmen und mit unbeschwerten Power-Pop-Songs kontinuierlich Charterfolge feierten. Die letztjährige Best Of-Veröffentlichung “Supergrass Is 10” war noch einmal eine Fest für alle Fans, die diese Band für ihre Kombination aus frechem Rock und extrem eingängigen Melodien liebten und zog gleichzeitig einen Schlussstrich unter die Vergangenheit. Ihre aktuelle Platte ‘Road To Rouen’ ist konsequenterweise nichts anderes als die komplette Neuerfindung einer Band auf dem Weg zu Ernsthaftigkeit.
Schon auf ihrer 2002er Veröffentlichung ‘Life On Other Planets’ war eine Abkehr von unbeschwerter Jugendlichkeit zu erkennen und das Album wartete mit einer Fülle von Klangfarben und Instrumentierungen auf, die aber immer noch die Supergrass-typische kräftige Rock-Brise verbreiteten. Die Integration von Bob Coombes als viertes Bandmitglied war nur ein Indiz für die Suche nach neuen Ausdrucksformen. Mit ihrer neuen Platte ‘Road To Rouen’ lassen Supergrass nun endgültig alle rotzigen Rock-Klischees hinter sich und knüpfen an den vielschichtigen Arrangements der Vorgängerplatte an. Scheinbar sind Supergrass endlich erwachsen geworden, eine Bemerkung die Sänger Gaz Coombes jedoch mit Verstimmung aufnimmt: “Oh Mann. Alle Leute erzählen das ständig. Uns wird gesagt wir würden in den letzten zehn Jahren ständig erwachsen werden. Na klar sind wir erwachsen geworden. Jede unserer Platten ist anders und hat eine andere Herangehensweise und ist etwas Neues. Wenn das bedeutet, man wird erwachsen, dann ist das eben so. Nach ‘I Should Coco’ haben wir ‘In It For The Money’ gemacht und Leute haben gesagt: Supergrass sind erwachsen geworden. Dann kam das ‘X-Ray’-Album mit Songs wie ‘Moving’ und ‘Faraway’ heraus und wieder: Ah, Supergrass sind erwachsen. Ich weiß nicht, wie weit man erwachsen werden kann, aber die Dinge ändern sich und man ändert sich mit ihnen.”
Entsprechend ist das neue Album ‘Road To Rouen’ von einer Ernsthaftigkeit geprägt, die nur wenig mit der jugendlichen Unbekümmertheit der alten Supergrass zu tun hat und ihnen, nebenbei bemerkt, äußerst gut steht. Die Single ‘St.Petersburg’ erzählt von dieser Entwicklung und dem Drang nach neuen Herausforderungen: “Set sail to St. Petersburg. It’s time to make a move o.,” steht programmatisch für die Veränderung, und das dazugehörige Video zeigt eine ehrliche Band die ohne Bombast und Allüren, aber dafür mit Selbstvertrauen und Stil ihren Weg geht. Bei solch offensichtlichen Veränderungen liegt es natürlich nahe zu vermuten, dass das Spaß-Image der Band mittlerweile auf die Nerven geht. Allerdings hat Gaz damit keine Probleme: “Das stört mich nicht. Wir sind eine ziemliche Spaß-Band. Wir haben Spaß an uns und an dem was wir tun. Es ist eine großartige Sache, Musik zu spielen und dafür ein bisschen Anerkennung zu bekommen. Ich würde nichts lieber tun wollen. Wenn man etwas liebt und es kommt an, dann hat man natürlich Spaß und lacht. Allerdings ist es ist auch eine raue Zeit und das Leben ist nicht wie im ‘Alright’-Video.” Aus diesen Worten spricht auch einiges an Verunsicherung und nimmt Bezug auf die Ereignisse in London, bei denen in mehreren Bombenanschlägen Dutzende Menschen getötet wurden und die zum Zeitpunkt des Interviews nur ein paar Tage zurücklagen: “Es ist ziemlich befremdlich. Wir hatten ein Probe letzten Donnerstag, genau unter der Station Shephards Bush, wo eine der Bomben glücklicherweise nicht hochging. Es ist ein unheimliches Gefühl, so nah zu sein und die Leute zu sehen, wie sie von der Polizei weggeschubst wurden ohne zu wissen was los ist. Ein bizarres Gefühl, zum Ausflippen und es kotzt uns ein bisschen an. Die einzige Möglichkeit, damit umzugehe,n ist zu sagen, es hat nicht mich getroffen. Ansonsten lebt man in totaler Angst.”
Das Album ‘Road To Rouen’ wurde im bandeigenen Studio in der Normandie aufgenommen und lässt sich stilistisch am treffendsten als Versuch beschreiben, die beiden Pole Rock und Akustik miteinander zu verbinden. “Es ist sehr viel Akustik auf dieser Platte”, glaubt Gaz. “Ich habe viele coole Platten gehört, die teils Folk, teils Rock’n’Roll sind, z.B. David Bowies ‘The Man Who Sold The World’, diese Platte hat viel akustische Gitarre aber mit einer sehr coolen Band.” Auf ihrem neuen Album erweitern Supergrass das typische Rock-Instrumentarium um einige sehr ungewöhnliche Instrumente wie die Ukulele, die Zither und jede Menge Blas- und Percussioninstrumente. Die daraus entstehende Fülle von Klangfarben kommt dabei keineswegs sperrig, sondern stets harmonisch und rund, und streift nur selten die Grenze zum Bombast. Der Opener der Platte ‘Tales Of Endurance’ macht diese Herangehensweise am deutlichsten. Aufgeteilt in drei Teile beginnt dieser Song mit einem langen Akustik-/Westerngitarren-Intro, gleitet dann über in ein dramatischen Bläser-Part und findet seinen Höhepunkt in einer Art Pink-Floyd-Funk-Rock-Bastard. Die Komplexität ist beeindruckend und erinnert an Trail Of Dead minus technischen Studio-Firlefanz. Dass die gesamte Platte den Charakter einer ausgedehnten Jamsession einiger sehr versierter Musiker trägt, macht sie sehr entspannt und ist für den Hörgenuss ein großer Vorteil. “Da ist definitiv ein Jam-Element enthalten. Wir waren sehr relaxt und haben unsere Gefühle rausgelassen. Die Ehrlichkeit sollte rüberkommen. Die Atmosphäre im Studio in Rouen hatte definitiv einen Einfluss. Seinen eigenen Raum zu haben und nicht im Zentrum von London zu sitzen war sehr wichtig.” Doch trotz all der Ernsthaftigkeit trägt mindestens ein Song den typischen Supergrass-Humor mit sich. ‘Coffee In The Pot’ ist ein verrücktes Mariachi-Surf-Instrumental für einen Spaghetti-Western, das gelegentlich durch einen Kossachenchor aufgemischt wird. Sehr merkwürdig und nach all der Tiefe in den Songs eine willkommene Lockerungsübung.
Zwar ist das Album mit 35 Minuten recht kurz, dennoch ist es großartig und Supergrass beweisen damit, dass sie genauso talentiert wie unterbewertet sind. Und auch wenn der Albumtitel ‘Road To Rouen’ ein gewisses Wortspiel in sich birgt, hat die Band keine Angst vor kommerziellen Selbstmord, wie Gaz bestätigt: “Da ist eine Art Selbstvertrauen in dem was wir tun. Das ist genau die Musik, die wir machen wollen, und wir ertragen alles, was damit zusammen hängt. Wenn es den Leuten nicht gefällt, weil es nicht kommerziell genug ist, dann scheiß drauf. Das ist unsere fünfte Platte, und wir sollten das machen, was wir machen wollen.”
Text: Matthias Legde
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