Der Soul ist kein Meister aus Deutschland. Ausnahmen bestätigen die Regel. 

Mal bitte auf der Zunge zergehen lassen: “Barrikaden von Eden” und “Der letzte deiner Art”! Ärghs …

Man stellt sich Mannheim gemeinhin nicht als eine Stadt vor, die einen mit aller Macht anzieht, es gibt ein paar vielleicht sehenswerte Museen und eine sehr aufgeräumte Stadtlandschaft mit viel klassizistisch geprägter Freifläche. Und es gibt die Popakademie Baden-Württemberg. Dort sollen Musiker lernen, wie man Popmusik macht. Wie man also Songs richtig schreibt, ordentlich Gitarre oder Keyboard spielt, sich auf der Bühne präsentiert und was in ein Promo-Kit so reingehört, wenn man denn von Medien irgendwie wahrgenommen werden will. Es sei ein Hort der Kreativen und der Musiker, dieses Mannheim – sagt Mannheim und sieht sich schon mal als heimliche Pophauptstadt Deutschlands. Denn wo so viele junge Musiker ausgebildet werden, da käme die Wirkmächtigkeit von selbst. Das zumindest ist die Logik einer mit massivem öffentlichen Mitteleinsatz geförderten Strukturpolitik, die auf den allgemeinen Trend zur „Kreativwirtschaft“ setzt.

Nun könnte man sich in lange, durchaus geschmäcklerisch verbissen geführte Diskussionen vertiefen, ob das mit der Planung von Popappeal überhaupt irgendwie geht – wenn man denn nicht soeben zwei sehr handgreifliche Beispiele für das totale Scheitern der deutschen Pop-Provinzialität begutachten könnte. Zwei neue Alben aus der Mannheim-Ecke liegen frisch in den Läden: Laith Al-Deen und [sic!] Söhne Mannheims. Es sind zwei Acts, die mehr als alle anderen für „Soul aus Deutschland“ stehen, zumindest wird das allgemein gern so gesehen, weil es in den Texten gern um Liebe, Gott und die oftmals missgünstigen Geschicke des Lebens geht. Wer das ein wenig gefühlvoll intoniert und inbrünstig genug singt, geht in Deutschland denn gleich auch als Soul-Sänger durch, was ja nichts anderes heißt als jemand, der seine Seele offenbart und das auch noch musikalisch intensiv herüberzubringen vermag.

Charles Bradley – „The World (Is Going Up In Flames)“

Über die Seele von Laith Al-Deen ist nicht besonders viel bekannt, es reicht diesbezüglich vielleicht auch, zu wissen, dass er seine Karriere im Vorprogramm von Pur startete, was – in katholische Kategorien übersetzt – einer niemals zu verzeihenden Todsünde und einem demzufolge sicheren Platz in der ewigen Verdammnis sicher gleichkommt. Interessanter sind selbstredend die Söhne Mannheims, eine mehr oder weniger lose Formation, die vor allem deshalb Aufmerksamkeit auf sich zieht, weil sie ein Projekt von Xavier Naidoo sind, der wiederum ganz vielen Menschen als Inkarnation des deutschen Soul-Sängers schlechthin erscheint, weil er ganz besonders inbrünstig singt, dabei ganz besonders viel über Gott oder seine eigenen Herzschmerz-Probleme. Man kann den Rezeptions- und Kritik-Prozess ein wenig schnöde verkürzen, indem man zusammenfasst: Das alles klingt grauenhaft „deutsch“ und peinlich bemüht. Aber wen kümmerts eigentlich?

Man kommt um Soul im Moment nicht herum, wenn man sich die aktuelle popmusikalische Weltlage anschaut. Seit den Siebzigern hatten Soul-Musiker nicht mehr einen derartig durchschlagenden Erfolg. Künstler wie der smarte Aloe Blacc, dessen „I Need A Dollar“ ein buchstäblicher Welthit war, der höchst ehrenhaft wiedergekehrte Musik-Poet Gil Scott-Heron oder die Überraschungsentdeckung Charles Bradley – der Mittsechziger war bis vor zwei Jahren Tagelöhner und James-Brown-Impersonator –, sie stehen für die Renaissance des Genres, die erstaunlich unbehelligt von einer Diskussion geblieben ist, die Erneuerung gegen Restauration aufrechnet. Im Gegenteil, gerade die reine Oldschool-Lehre feiert wahre Triumphe, manifestiert zum Beispiel im Brooklyner Daptone-Labelkosmos, das mit dem klassischen Soul-Prinzip einer feststehenden Backing-Band agiert und dessen Einfluss bis in die Top-Produzenten-Liga eines Mark Ronson ausstrahlt.

Joy Denalane – „Niemand (Was Wir Nicht Tun)“

Und was hat das mit Mannheim oder den Söhnen Mannheims zu tun? Nichts. Eben. Dass Pop nicht künstlich verortet werden kann, lässt sich am gar nicht so fernen Stuttgart sehr schön veranschaulichen, das auch nicht gerade als Lifestyle-Metropole bekannt ist. Aber dort legte in noch sehr jungen Jahren ein Max Herre sein Ohr „auf die Schiene der Geschichte“, es gab da schon eine sehr lebendige bundesweit relevante HipHop-Szene. Seine Band Freundeskreis wurde daraufhin ziemlich berühmt, sie war schon damals mehr Soul-durchhaucht als jede andere Band des Landes. Irgendwann kam die Sängerin Joy Denalane nach Stuttgart, Halb-Südafrikanerin mit Lockenmähne, eine Bilderbuch-Soulfrau gewissermaßen, die perfekt in die musikalische Welt von Freundeskreis und die private von Max Herre passte; gemeinsam lieferten sie obendrein noch eine Muster-Story von Verlieben, Heiraten, Kinderkriegen, Trennung mit Anstand und – so hat es jemand strikt boulevardesk bei Wikipedia vermerkt – „Liebescomeback“. Auch von Joy Denalane gibt es passenderweise ein neues Album, es hat mehr Soul als alle Mannheimer Studenten oder die Xavier Naidoos dieser Welt vermutlich jemals zusammen aufbringen werden. Dafür braucht es kein überhöht-göttliches Gefasel, sondern bloß etwas weniger Pathos und vor allem natürlich Reime, die man auch ohne das Gefühl, beim Zahnarzt zu sitzen, hören kann. Joy Denalane lebt übrigens inzwischen wieder in Berlin. Da, wo Pop auch nach allgemeinem Verständnis ziemlich mehrheitlich zu Hause ist.

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