Die Suicidal Tendencies holen 2013 mit neuer Platte zum großen Comeback aus? Gut zu wissen. Wir haben die Nachricht zum Anlass genommen, mit Mike Muir, seines Zeichens Sänger und Gründungsmitglied der Kulttruppe ein wenig zu plauschen. Nicht etwa über das neue Album, sondern vielmehr Gesellschaftliches, den Einfluss der Medien und über den Generationenwechsel im Hardcore. Ein munterer Mike Muir geht, im weit entfernten Kalifornien, wie vereinbart, pünktlich um 19.30 Uhr bei Skype online.

motor.de: Hallo Mike, wie geht es dir?

Mike: Oh, mir geht es sehr gut.

motor.de: Wie viel Uhr ist es bei dir gerade?

Mike: Es ist genau 10.30 Uhr, morgens.

motor.de: Du hast den ganzen Tag noch vor dir…

Mike: Ja, stimmt. Ich habe eine Zeit lang in Australien gelebt, da war ich allen einige Stunden voraus. Wenn ich mit Freunden telefoniert habe, fragten sie auch immer nach der Tageszeit. Ich antwortete immer, ich liege mit einem Tag in Führung.

motor.de: Du hast also in der Zukunft gelebt…

Mike: Ja, genau.

motor.de: Suicidal Tendencies war ja recht lange von der Bildfläche verschwunden. Einen wesentlichen Beitrag zur, sagen wir mal unfreiwilligen Abstinenz trug dein Rückenleiden bei. Wie geht es dir heute damit?

Mike: Das war schon eine schwere Zeit für mich. Vor sieben, acht Jahren wollten wir groß auf Tour gehen, ein neues Album aufnehmen und plötzlich war ich völlig außer Gefecht. Aber zum Glück ist alles gut verheilt. Ich weiß jetzt auch, womit ich es zu tun habe und dementsprechend habe ich mich damit arrangiert. Ich mache fleißig jeden Morgen meine Rückenübungen und gehe zum Gewichte heben. Alles gut soweit.

motor.de: Kein Yoga?

Mike: Ne, kein Yoga. Alle raten mir dazu, aber ich bin nicht so beweglich.

motor.de: Ich hole jetzt etwas weiter aus: Eure Fangemeinde hat sich ja ganz schön verändert. Ich habe als Skater, Suicidal Tendencies mit Skateboardfahren in Verbindung gebracht und wusste um den Zusammenhang. Heutzutage sind die Hardcorekids ganz anders unterwegs – sie tragen schon früh am ganzen Körper Tattoos, hören neben den harten Sachen auch mal Dubstep oder Hip-Hop, kommen nicht zwingend aus Problemfamilien, interessieren sich für Kunst, Literatur, sind gut in der Schule und feiern dennoch alles von euch hart ab. Eigentlich wissen aber viele von ihnen nichts über euch. Da frage ich mich, sind wir schon einfach alte Säcke und zu verkopft, was Musik angeht oder folgen diese Jugendlichen nur einfach anderen Regeln als wir früher? Wenn ich dann aber zu meinen Füßen heruntersehe, finde ich ein blaues Paar Suicidal Tendencies Skateschuhe. Ich lese gerne, interessiere mich für Kunst, bin tätowiert und aus einer Problemfamilie komme ich auch nicht. So groß ist dann wohl der Generationenkonflikt doch nicht, oder?

Mike: Ich könnte das mit der komplett gegensätzlichen Meinung zu deiner beantworten, aber wir betrachten einfach alles subjektiv, weswegen ich es schwer finde, da eine Konstanz festzustellen. Ich habe unlängst von Leuten gehört, die schon lange nicht mehr unser Zeug gehört haben, sich aber irgendwann wieder ein altes Album gekauft haben. Nicht um es selber anzuhören, sondern um ihren kleinen Cousins oder Neffen und Nichten zu zeigen, wie hart sie früher drauf waren. Damit zeigen sie, wie sehr sie früher Punkrock waren und es heute immer noch sind. Fakt ist jedoch, dass ein Christ, der sich zehn Mal taufen lässt, dadurch auch nicht näher bei Gott ist, als alle anderen gläubigen Menschen. Die Kids feiern unsere Alben und ihre Inhalte nicht so hart ab, sondern kommen irgendwann mit auf ein Konzert von uns, weil der Onkel ständig mit den Geschichten von früher ankommt und sie sagen sich dann ‘Ok, hier sind wir also, ist ja ganz nett, aber es haut mich noch nicht vom Hocker’. Dann sehen sie zum ersten Mal in ihrem Leben einen wütenden Moshpit, völlig konträr dazu, die gute Stimmung und familiäre Atmosphäre und das ist es, was sie mit nach Hause nehmen – eine unglaublich positive Energie, ein Erlebnis. Da sind dann auch die Inhalte der Texte und die Geschichte der Band egal, sie haben einfach nur die reinen Emotionen und das ist auf jeden Fall mindestens genauso viel wert.

motor.de: Ich erinnere mich an ein Interview mit dir, bei dem du gefragt wurdest, wie du zu Hip-Hop stehst. Du sagtest, Hip-Hop sei für dich auch nur Pop mit wenigen herausragenden Ausnahmen. Die alten N.W.A.-Sachen und Cypress Hill hast du in diesem Zusammenhang genannt, weil sie für dich damals anders waren und irgendwie auf ihre Art Hardcore. Wie kommt´s, dass ihr die Drums und auch einige Songs komplett in Dr. Dre´s Interscope-Studio aufgenommen habt. Hast du deine Meinung gegenüber Hip-Hop geändert?

Mike: Naja, weißt du, es sind die Universal Studios und die sind ziemlich groß. Es stimmt schon, dass gleich auf der anderen Straßenseite mal einfach jeder bekannte Rapper, der bei Universal unter Vertrag steht, dort auch sein Album aufnimmt. Es ist eben ein sehr gutes Studio und deswegen haben wir auch dort aufgenommen. Das hatte für uns weniger mit der Musik zu tun. Ich kann aber dennoch sagen, dass mir damals N.W.A. wirklich gefiel. Nicht weil es Dr. Dre war oder weil es Hip-Hop war, sondern weil es einfach anders war – es hatte eine Aggressivität, die damals so nur im Punk oder Hardcore verankert war. Mal abgesehen davon, schockten sie mit ihren Inhalten und prangerten gesellschaftliche Ungerechtigkeit an. Ich fand das cool. Manche Leute denken, ich sei total intolerant und ließe neben all der harten Musik kein anderes Genre an mich rankommen, aber das stimmt so nicht. Ich bin nur einfach sehr kritisch. Mir gefallen aus allen Musikrichtung nur wirklich wenige Bands. Das gilt nicht nur für Hip-Hop, sondern auch für Metal, Punk oder Hardcore, wo ich mich eigentlich zu Hause fühle. Es ist schon lustig. So viele Menschen haben auch an Suicidal Tendencies etwas auszusetzen: Ihnen gefällt unsere Kleidung nicht, sie finden es komisch, dass wir Schwarze und Weiße sind, die Art wie wir uns auf der Bühne bewegen – aber keiner befasst sich wirklich mit der Musik. Wenn mir jemand sagen würde, er möge uns nicht, weil ihm meine Texte nicht gefallen, oder weil die Musik im Allgemeinen nicht so toll ist – damit kann ich leben. Aber nur wegen meinem Aussehen? Das sind dann genau die Leute, die behaupten, ich sei intolerant.

motor.de: Sagt dir der Name Wocka Flocka Flame etwas?

Mike: Nein, nie gehört.

motor.de: Das ist ein junger Rapper aus Atlanta, der in seinen Texten das Leben in einer Gang thematisiert – in seinem Fall bei den Bloods (einer der gefährlichsten Straßengangs Amerikas – Anm. d. Verf.) – ohne es zu beschönigen. Negative Aspekte werden hervorgehoben und den Kids vermittelt es, dass ein solches Leben nicht anstrebenswert ist. Konträr dazu steht: Er ist mit Klunkern behangen, muskelbepackt, tätowiert, das Wort ‚bitch‘ fällt im Zusammenhang mit Frauen auffällig oft und er hisst in seinen Videos die Fahne für die Bloods – also alle Clichés erfüllt. Ist das dann tatsächlich dem wahren Leben nachempfunden, oder werden so Sehnsüchte geweckt, wenn man einen solch detaillierten Einblick in diese Welt gibt?

Mike: Dazu fällt mir nur Folgendes ein: Früher lief auf MTV nur Musik. Es wurde in einer Studie festgestellt, dass ein Zuschauer im Durchschnitt beim Zappen, knapp sieben Minuten bei der Musik, die ihm gefällt, hängen bleibt. Als MTV mit einer Reality-Show auf Sendung ging, waren das dann locker 60 Minuten, die vom Zuschauer darauf verschwendet wurden. Ich finde das ist erschreckend und erbärmlich zugleich. Manche oder besser gesagt, viele Menschen sind mehr an einem Leben interessiert, welches uns als real vorgegaukelt wird, als an Kunst, also Musik. Was vermitteln uns denn diese Sendungen und, um auf deine Frage zu antworten, diese Musikvideos von solchen Künstlern? Es wird einem von einer Realität erzählt, die es so nie gegeben hat und auch niemals geben wird. Die Leute schlucken es aber. Das hat aber nicht immer nur Negatives, dass will ich nur mal klarstellen.

motor.de: Wirklich? Es klingt aber sehr danach…

Mike: Ich erkläre es dir anhand einer kleinen Erzählung: Ich war vor nicht allzu langer Zeit mit meinem Sohn mit dem Stadtbus unterwegs. Da stand neben uns ein seltsam angezogener Teenager, der gleichwohl ziemlich seltsame Bewegungen machte. Mein Sohn fragte mich, was dieser Junge da veranstalte. Ich sagte ihm, dass er sich wahrscheinlich für ein Casting vorbereitet um sein Können einer Jury zu zeigen. Ich sagte ihm auch, was mein Vater mir einst eintrichterte: „Was auch immer du machst Sohn, mache es so gut wie möglich.“ Dann meinte er damals: „Das Klo putzen zum Beispiel?“ „Ja, auch das Klo putzen. Wenn du Klos putzen musst um deinen Lebensunterhalt zu verdienen, dann mach auch das so gut du nur kannst. Irgendwann wird jemandem auffallen, dass du das besser kannst, als alle anderen und fragen, warum du hier nur Klos säuberst.“ Es dauerte damals sehr lange, bis ich das kapiert habe, nachdem ich ja nicht Toilettenschrubber werden wollte. Aber ja, der Kern dieser Geschichte ist, dass du alles werden kannst, was du willst, solange du hart an dir selbst arbeitest. Wenn du Gangster-Rapper werden willst, das Leben leben möchtest, welches dir bei einer Reality-Show vorgelogen wird, oder als Tänzer groß rauskommen willst, dann musst du daran arbeiten und nicht nur davon träumen, in der Hoffnung es taucht plötzlich jemand auf und sagt, dir alle Wünsche erfüllen zu wollen. Sehnsüchte wecken ist ja das eine, aber jeder kann selber entscheiden, was er daraus macht.

motor.de: Ein schönes Schlusswort. Danke für das Gespräch Mike. Vielleicht nehmen sich ein paar Leute diese (Amn. d. Red.: wenn auch sehr amerikanische) Denkweise zu Herzen.

Mike: Ja, wer weiß. Hoffen wir das Beste.


Chris Grimm