Kaum war das zweite Gorillaz-Album unters Volk gebracht und weltweit bestens aufgenommen, verspürte Damon Albarn auch schon wieder dieses Kribbeln. Statt sich also in den wohlverdienten Urlaub zu begeben, trommelte er ein paar prominente Freunde zusammen und segelte mit The Good, The Bad And The Queen einmal mehr in eine für ihn neue musikalische Richtung. Wir trafen mit Albarn, Simon Tong (Ex-The Verve) und dem ehemaligen Clash-Bassisten Paul Simonon drei der vier glorreichen Halunken zum Interview in Köln. Der vierte im Bunde, Afrobeat-Großmeister und Ex-Fela-Kuti-Schlagzeuger Tony Allen, war leider unabkömmlich, ließ aber Grüße ausrichten. Ach ja: Die neuesten Meldungen zum Stand in Sachen Blur entnehmt bitte den entsprechenden Blogs und den News-Spalten der diversen Fachmagazine. Dass Damon nur weitermachen will, wenn Graham Coxon zurückkommt, wiederholt er ja nun bereits seit Monaten gebetsmühlenartig. Warum soll man ihn also zum hundertsten Mal danach fragen?

Ich darf annehmen, ihr seid im Zusammenhang mit The Good, The Bad And The Queen nicht besonders erpicht auf den Begriff Supergroup, oder?
Damon Albarn: Ich frage mich immer wo dieses komische Wort überhaupt herkommt…

Aus den späten Sechzigern, durch Bands wie Cream.
Albarn: Schon klar. Aber wer hat sich das Wort dafür ausgedacht?

Vermutlich einer meiner damaligen Kollegen…
Alle: Natürlich, wer sonst!

Albarn: (nölig-gedehnt) Supergroup.
Paul Simonon: Vielleicht sollte man die Betonung anders legen: SUPER-Group. Dann wären wir eine.

Angefangen hat es ja wohl mit deinen Solo-Aufnahmen, Damon, die…
Albarn: Nein! Das Projekt war nie für ein Soloalbum gedacht. Angefangen hat es mit Jams von mir und Tony (Allen) in meinem Londoner Studio. Dann kam Simon dazu und wir gingen nach Algerien. Dort nahmen wir eine komplette Platte mit einer Menge fantastischer Musiker auf. Dann überlegte ich, wie wir diesen Aufnahmen eine zusätzliche Berechtigung geben könnten. Bislang war es ja einfach nur gute Musik. Und da kommt schließlich er (zeigt auf Simonon) ins Spiel. Ich fand heraus, dass er nur zwei Straßen weiter wohnt und wollte unbedingt etwas mit ihm machen. Dann gab es natürlich noch eine Phase des gegenseitigen Befühlens, aber von da an begann das Ganze erst wirklich Fahrt aufzunehmen.

Und was ist aus den ersten Aufnahmen geworden?

Albarn: Sie sind immer noch da und setzen Staub an. Mal gucken, was wir damit machen.

Damon, mit Simon Tong hast du ja bereits bei den Gorillaz und Blur zusammengearbeitet. Wie genau hast du es geschafft, Paul zu überreden? Seine Mitwirkung beim ersten größeren musikalischen Projekt seit The Clash erklärt sich wohl kaum alleine aus guter Nachbarschaft. Kennengelernt habt ihr euch ja wohl bereits 1995 bei der Hochzeit von Joe Strummer.
Albarn: Ja, aber da haben wir uns wirklich nur kurz getroffen.

Simonon: Wir wurden einander vorgestellt. Wirklich kennen gelernt haben wir uns erst im April letzten Jahres, als es mit dieser Sache hier losging.

Für dich, Paul, ist es ja tatsächlich das erste musikalische Projekt seit einer sehr langen Zeit, oder?
Simonon: Seit ungefähr 15 Jahren. (Sagt es auf Deutsch: “funfzehn, zwolf Jahre maybe”).

Was hast du all die Jahre gemacht?

Simonon: Ich male, das ist meine Hauptbeschäftigung – auch jetzt. Wir alle machen ja eine Menge anderer Sachen. Tony (Allen) ist zum Beispiel heute Morgen nach Amerika gefahren, um dort zu arbeiten. Es ist also nicht so, dass wir ständig zusammen sind. Es bleibt eine Menge Zeit für andere Dinge.

Es muss in all den Jahren eine Menge Anfragen gegeben haben…

Simonon: Ja.

Was war der Grund, diesmal nicht abzulehnen?
Albarn: Alle wollten mit ihm arbeiten: Westlife, die Spice Girls. (Allgemeines Gelächter)
Simonon: Genau, und dann kommt so ein Pop-Arschloch an. (lacht) Nein, Damon rief an und fragte, ob ich Lust hätte, mir einige seiner neuen Songs anzuhören. Auf Grund all der vielen Sachen, die er in der Vergangenheit so gemacht hatte, wurde ich neugierig. Kurze Zeit vorher hatte ich die Gorillaz in London gesehen und war sehr angetan. Erst durch sie bin ich übrigens so richtig auf Damons Arbeit aufmerksam geworden. Dann spielte er mir einige der Songs für dieses Projekt hier vor. Ich war ergriffen von ihrer epischen Breite und großen Qualität. Schnell sah ich einen Platz für mich in dieser Musik, hatte den Eindruck, ihr etwas geben zu können. Wir führten dann noch eine Menge Gespräche über alles Mögliche, nicht nur Musik, und stellten eine Menge Gemeinsamkeiten fest. Auf einmal waren also Tony Allen, Simon, Damon und ich im Studio, und alles floss zusammen. es entwickelte sich alles ganz von selbst. Die Songs begannen vor unseren Augen ein Eigenleben zu führen.

Dann waren also alle am Songwriting beteiligt?
Albarn: Im Prinzip schon. Ich hatte alles grob skizziert und diese Skizzen arbeiteten wir dann gemeinsam aus.

Thematisch geht es wohl um den Teil von West-London, in dem du, Paul, und Damon leben?
Albarn: Ein wichtiger Einfluss. Allerdings spannen wir den Bogen ein bisschen weiter: Es geht allgemein um England, das Lebensgefühl auf einer Insel, die Insulaner, und die sich daraus ergebenen Besonderheiten.

Die Platte klingt ziemlich entspannt. Ist das Leben in West London in diesen Tagen so relaxt und sorgenfrei, wie viele der Songs klingen?

Simonon: Mitunter. Vor allem ist es wechselhaft. Es gibt Zeiten der Unruhe, Zeiten der Ruhe. Durch den kulturellen Mix in dieser Gegend haben wir beinahe alle Facetten menschlichen Zusammenlebens.
Albarn: Eine kulturell absolut einmalige Gegend. Sieht man am besten, wenn die Gemeinde einmal im Jahr zum Karneval zusammenkommt – die größte Veranstaltung dieser Art in Westeuropa übrigens. Da zeigt sich dann die ganze Vielfalt und Lebenslust der Menschen, musst du dir unbedingt mal angucken!

Vom Vibe und auch dem zynischen Humor her scheint eure Musik einer ähnlichen Betrachtungsweise Englands zu entspringen wie sie Ray Davies mit den Kinks stets bevorzugte.

Albarn: Es gibt sicher Elemente davon. Genau wie Davies leben wir in West-London auf einem Hügel und können also die Sonne auf und untergehen sehen. Wir haben heute Morgen erst darüber gesprochen: Es ist eine Frage der Farbe des Lichts. In höher gelegenen Gegenden herrscht einfach ein anders Licht und das schlägt sich natürlich in der Musik nieder. Es ist gar nicht so hoch gelegen, aber die Musik hat automatisch eine andere Attitüde.
Simonon: Heute Morgen hatte der Himmel die Farbe von Tee, wenn man ihn nur einige Sekunden ziehen lässt.
Albarn: Außerdem gibt es eine Verbindung in der Art, dass unsere Musik wie die Musik der Kinks gleichzeitig Melancholie und Freude auszudrücken vermag.

An einem Punkt singst du “Sunday’s lost in melancholy”. Dort wird das besonders deutlich. Der Song ist ein perfekter Sonntagmorgen-Song. Da er dieses spezielle Gefühlswirrwar zwischen Hochstimmung und sonntäglicher Melancholie miteinander verbindet, das sich an der Schnittstelle zwischen alter und neuer Woche häufig einstellt. Diese Mischung aus Ende und Neubeginn.
Albarn: Es gibt auf jeden Fall eine Spur von Melancholie, wenn an einem schönen Sonntagmorgen die Sonne scheint und die Glocken klingeln – aber niemand geht in die Kirche. Manchmal frage ich mich, warum das so ist. Speziell in unserer Gegend. Es liegt ein toller Spirit in der Luft, aber die Kirche von England bleibt leer. Sollte sie nicht der Ort sein, um all diese Menschen zusammenzuführen?

Vielleicht. Produziert hat die Platte abermals Brian ‘Danger Mouse’ Burton, mit dem du bereits für das letzte Gorillaz-Album gearbeitet hast. Wie kam es dazu?
Albarn: Nun, ich habe nach den Aufnahmen zu “Demon Days” eigentlich durchgehend weiter mit ihm gearbeitet. Jetzt, wo er ein internationaler Pop-Star ist, ist es natürlich etwas schwerer. (Anm.: Burton ist der Initiator des zuletzt weltweite Erfolge feiernden Projekts Gnarls Barkley) Aber Brians Beitrag zu dieser Platte ist ebenso wichtig wie der von uns anderen. Er ist praktisch das fünfte Mitglied.

Torsten Groß