Geniale Idee oder infantiler Schwachsinn? Als die aus animierten Comic-Figuren bestehende “Band” Gorillaz vor vier Jahren auf der Bildfläche auftauchte, gingen die Meinungen auseinander. Vor allem aber war das Rätselraten groß. Wer steckte hinter den Manga-inspirierten coolen Charakteren, die im Video zur Hitsingle “Clint Eastwood” im Cabrio durch die Kulisse cruisten? Lange dauerte das Verwirrspiel um die auch live Entpersonalisierten freilich nicht an – der Albarn-Damon von Blur war’s natürlich. Zusammen mit Comiczeichner Jamie Hewlett war Albarn die Idee im Suff gekommen.

Nachdem also nun klar ist, wer die Gorillaz sind und das Debüt so ein formidabler Erfolg wurde, besteht auch kein Grund mehr sich zu verstecken. Die Interviews zur neuen Platte “Demon Days” gibt Damon höchstselbst auf seinem Londoner Hausboot. Darüber hinaus blieb das Konzept nach außen hin die Cartoon-Figuren Murdoc, 2D, Noodle, Russel anstelle realer Musiker agieren zu lassen jedoch unberührt. Und das ist auch gut so – entspricht es doch dem Geist der Musik. Der erste Gedanke, der mir beim Hören des Zweitwerks kam war nun der, dass Can wahrscheinlich heute genau so klingen würden wie die Gorillaz hier – wenn es die Kölner Improvisationskünstler denn noch gäbe. Derselbe musikalische Freigeist, die gleiche unbändige Lust am Experimentieren, die die Qualität von Can ausmachte, finden sich auch hier wieder. Freilich mit den Mitteln der Computergeneration.

Der Titel “Demon Days” versteht sich natürlich als virtuelle Entsprechung unserer ganz realen und wenig tröstlichen Gegenwart. Die dominierende musikalische Farbe ist daher schwarz, Endzeitstimmung regiert das insofern auch politische Werk. Eine unbedingt intelligente Form, um auf bestehende Missstände hinzuweisen übrigens – ist man der platten Anti-Bush-Phrasen, so richtig und wichtig diese auch sein mögen, in Pop-Songs doch langsam überdrüssig.

Es gibt zwar prominente Gäste auf “Demon Days” – De La Soul, Neneh Chery, Shaun Ryder (Happy Mondays) stehen für Albarns offensichtliches Faible für zu Unrecht ausgemusterte Spätachtzigerstars, Frauenschläger Ike Turner und Dennis Hopper vertreten die noch ältere, wenngleich – zumindest in letzterem Fall – äußerst coole Generation. Mit Namedropping hat das aber eher weniger zu tun. Haben die Gorillaz nach sechs Millionen verkauften Debüt-Einheiten auch nicht nötig. Nein, hier ist, Achtung: Klischee!, ausnahmsweise niemand der Star – auch Albarn nicht – es geht wirklich nur um Musik. Und die hat es in sich. Noch ausufernder, sich in jegliche vorstellbare stilistische Richtung bewegend als zuletzt, sind Songs wie “Every Planet We Reach Is Dead”. Songs? Ach was: Klangexperimente. Jams. Ton gewordenes Querdenkertum! Sich allem und jedem verweigernd, voller Zitate und doch völlig eigenständig weil anders. Und mittendrin immer wieder melodische Kleinode, überraschende Wendungen. Eine souverän entspannte Vermählung von Krautrock mit den Beach Boys, mit HipHop, mit Elektro, mit Gospel, mit Soul, mit – ja auch das – Brit-Pop und sogar Jazz. Letztlich aber vor allem eines: Absolut clever gemachte universale Pop-Musik. Und da es in diesem delirierenden Kosmos keine Personalisierung braucht, lautet die Antwort auf die Eingangsfrage ganz klar: Was für eine geniale Idee! Immer noch und nun schon zum zweiten Mal.

Text: Torsten Groß