Weltschmerz kann so schön sein. Unverblümte Aufrichtigkeit und Trübsinn verpackt in The Nationals “High Violet”, dessen Charakterfestigkeit auch Matt Berninger unterschreibt.

The Nationals Matt Berninger (Foto: Elli Eberhardt)

Das Pflänzchen muss wachsen, bevor seine Zeit gekommen ist. Mit dem mittlerweile fünften Album “High Violet” beweisen The National Größe, übertrafen sämtliche Erwartungen und vor allem sich selbst. Die Band sinniert auf der Platte düster und melancholisch, das schwermütige Herzblut verteilt auf jeder Nuance der Klangtapete.
Sänger Matt Berninger wirkt während des Interviews auf dem Highfield-Festival zerbrechlich und ausgeglichen zugleich. Versteckt hinter Sonnenbrille und Bart spricht er über die nachdenkliche und wütende Zeit während des Songwritings, warum gut Ding Weile haben muss und man sich selbst alle Freiräume geben sollte.

motor.de: Um mal mit der Lokalität zu beginnen. Habt ihr euch was in Leipzig anschauen können? Man munkelt, ihr wärt kulturell interessiert.

Matt: (lacht) Wir machen eigentlich nicht so viel, da dazu wirklich wenig Zeit über ist. Obwohl, manchmal schon, wenn wir einen kompletten Tag frei haben. Aber auch dann ist es meist so, dass wir Schlaf nachholen oder die Zeit allein verbringen, um mal Ruhe vor den anderen zu haben. Ich bin eher so der Typ, der sich zum Relaxen ins Hotelzimmer verkrümelt und nichts tut. Das ist eben das Blöde an einer Tour. Du reist viel rum und auch an total interessante Orte, und dann hast du trotzdem nicht die Möglichkeit, etwas davon mitzunehmen. Aber ich sehe viele Zelte, Parkplätze und Hotels… (lacht) Das ist alles nur ein Einheitsbrei.

motor.de: Wie lief die bisherige Festival-Tour für euch?

Matt: Es war fantastisch. Es ist einfach unbeschreiblich, vor zehntausenden von Leuten zu spielen. Das war früher mal undenkbar für uns. Ehrlich gesagt schließen wir immer die Augen und stellen uns vor, in einer kleinen Bar zu spielen.

motor.de: Dann ist es bestimmt seltsam für euch, wenn so viele Menschen eure Songs mitsingen…

Matt: Das ist schon etwas komisch, da die meisten Songs in einer Art stillen Kämmerlein geschrieben wurden und somit auch recht intim sind. Oft haben sie einen eher ängstlichen Charakter und entstanden somit auch in einer völlig anderen Atmosphäre. Es ist surreal, wenn tausende von Leuten mitsingen. Das ändert die ursprüngliche Idee des Songs, aber irgendwie auf eine tolle Art und Weise. Als fühlte jeder die Worte, verbunden in einer Art Gemeinschaft. Aber es ist schon ironisch.

The National beim Highfield-Festival 2011 (Foto: Elli Eberhardt)

motor.de: In letzter Zeit gab es viel zu berichten über euch. Stichwort “Exile Vilify” – eine schöne Aktion mit spannendem Hintergrund. Ein Soundtrack zu einem Puzzle-Spiel, wie ist es denn dazu gekommen?

Matt: Die Leute von dem Videospiel sind eigentlich auf uns zugegangen, die Urheber dieses Spiels sind wohl Fans von uns. Als sie sich bei uns gemeldet hatten, habe ich das meinem Bruder erzählt, der sich besser mit Videospielen auskennt und er meinte, die Sache sei es auf jeden Fall wert. Am Ende hatten wir ziemlich viel Spaß, da die Leute dort keinen typischen Videospiel-Song haben wollten, also keine Uptempo-Nummer, die sich dem Spielverlauf anpasst. Sie wollten wirklich einen National-Song. Es war irgendwie interessant, mitzuwirken und alles über die Welt zu erfahren, die die Macher kreiert haben. Unser Song passt gut in diese traurige Landschaft. Ich denke zwar nicht, dass ich das Spiel mal ausprobieren werde… (lacht) Aber wir sind stolz, ein Teil davon sein zu können.

motor.de: Es gibt doch da auch noch einen anderen Soundtrack-Beitrag von euch, oder?

Matt: Genau, wir haben einen Song für den Film “Win Win” geschrieben. Wir mögen den Regisseur [Thomas McCarthy, Anm.d.Red.], er hat zum Beispiel auch “The Visitor” geschrieben. Das sind eher Sparten-Filme, aber im Detail wunderschön. Er wollte, dass wir einen Song schreiben, der den Film beendet. Es ist ein sehr ehrlicher, komplizierter, aber auch niedlicher und warmherziger Streifen. Beide Projekte, also das Spiel und der Film, haben sehr viel Spaß gemacht, weil wir mit Leuten zusammen gearbeitet haben, die irgendwie (überlegt), wie soll ich sagen, tiefgründig nachdachten. Die Zeit hat zum Nachdenken angeregt und somit sind gute Songs entstanden. Man fühlte sich so, als sei man in sich selbst verloren, ein bisschen neurotisch. Es war schön, nicht selbst die Geschichte zu erzählen, sondern eine Geschichte zu stützen. Die Songs sind dafür geschrieben und mehr eine Art “Service”, dadurch hatte das Songwriting einen ganz anderen Anspruch. Das war sehr erfrischend. Aus irgendwelchen Gründen ging das viel schneller, als einen eigenen Song für die Band zu schreiben. Das dauert Monate, und Monate, und noch mehr Monate.

The National – “Think You Can Wait” (“Win Win” Soundtrack)

motor.de: “High Violet” ist ein wirklich starkes Album, ihr habt nun so viel Lob dafür bekommen, ausnahmsweise war sich die Presse ja ziemlich einig. Ein weiterer Qualitätssprung in eurer Diskografie. Siehst du das auch so?

Matt: Auf jeden Fall kennen uns jetzt mehr Leute, die erste Platte hat niemand gehört. Na gut, vielleicht so grob zwei Menschen… (lacht) Unsere zweite haben vielleicht ein paar hundert Leute gehört. Wir gehen also seit unserem ersten Album kleine Stufen nach oben. Ich glaube aber schon, dass “High Violet” uns viel mehr Aufmerksamkeit hat zukommen lassen. Ich denke, dass viele Menschen überrascht sind, dass wir schon einige Platten vor dieser veröffentlicht haben. Ich halte “High Violet” für unser bisher bestes Album.

motor.de: Der Sound der Platte ist sehr filigran und anspruchsvoll. Was ist euch bei eurem Sound am wichtigsten?

Matt: Die Atmosphäre. Sie muss dynamisch und ehrlich sein, beziehungsweise klingen. Der Song bin ich, also… Ich spiele den Song nicht bloß, er ist mein Herz. Deswegen möchte ich, dass ein Song nur mich widerspiegelt und nicht irgendetwas, in das ich mich reinversetzen muss. Ich möchte bloß ich sein und ich mag es nicht, wenn jemand einen Song schreibt und mich dabei verscheißern will, mich zum Nachdenken bringen will. Es ist leicht, ein Lied zu schreiben und musikalisch in eine Richtung zu stoßen, sodass es klingt, als ob du mitten in der Scheiße steckst. Einfach nur, um cool zu klingen oder auszusehen. Es ist schwer zu erklären, aber solche Musik stößt mich wirklich ab. Wir schreiben Songs, aber es ist nicht so, dass sie einfach aus uns herauspurzeln. Wir haben immer diese gegenseitige Kontrolle. Ich kann es schwer erklären, aber für jemanden, der wirklich in der Scheiße steckt, ist es nicht schwer, auch so zu klingen. Aber genau das versuchen wir eigentlich zu vermeiden.

motor.de: Du meintest damals, schon der Sprung von “Alligator” zu “Boxer” sei schwer gewesen, also euch als Band zu einigen – waren die Arbeiten zu “High Violet” noch komplizierter?

Matt: Ich denke, dieses Mal war es sogar leichter. “Alligator” und “Boxer” sind einfach total unterschiedlich und ich denke, die Leute erhofften sich ein zweites “Alligator”. Aber die letzte Sache, die wir machen wollten, war immer und immer wieder die gleiche Platte zu machen. Wir wollten also “Boxer” absichtlich komplett anders klingen lassen. Als sich herausstellte, dass die Idee erfolgreicher war, als wir uns das eigentlich vorgestellt hatten, merkten wir, dass wir wirklich wissen, was wir tun und nun auf dem richtigen Weg sind. Und das ganz ohne auf der sicheren Seite zu stehen und den alten Erfolg widerzuspiegeln, ganz so, wie es von dir erwartet wird. Eigentlich versucht man nur, sich selbst zu begeistern. Bei “High Violet” hatten wir kein solch existenzielles Dilemma wie zuvor und haben uns somit mehr Freiräume gegeben. Wir haben uns manchmal erlaubt, auch mal hässliche oder alberne, eben nicht ganz so gelehrte, theoretische Teile einzubauen. Wir wollten “High Violet” sein lassen, wie es sein wollte und nicht überpolieren. Ich denke, dass es auch aus diesem Grund unsere beste Platte ist. Sie ist ein Mix unserer verschiedenen Charaktere und somit auch wohltuend für uns.

motor.de: Hat das Einbringen denn immer gut funktioniert, oder habt ihr euch dabei auch öfters in die Haare bekommen?

Matt: Na ja… Wir sind eine ziemlich unausgeglichene Band. Ich bin ein sehr sturer Mensch. Aaron [Dessner, Anm.d.Red.] und ich streiten uns die meiste Zeit. Aber wir wissen auch, dass genau diese Mischung aus unseren unterschiedlichen Meinungen unsere Musik aufregend macht. Aber wir streiten uns trotzdem bis aufs Messer über den kleinsten Mist. Gerade bei “Boxer” waren wir dauerhaft wütend auf den jeweils anderen. Dieses Mal war das auch so, aber nicht auf eine Art und Weise, dass wir die Idee hatten uns aufzulösen.

The National – “Afraid Of Everyone”

motor.de: Was werdet ihr nach dem Sommer tun? Wollt ihr erstmal pausieren, oder ist schon eine neue Tour geplant?

Matt: Wir touren noch bis Mitte Dezember und danach… Weiß ich noch nicht genau, ich möchte aber nach Möglichkeit viel Zeit mit meiner Frau und meiner Tochter verbringen und alles dafür tun, The National für eine Weile zu vergessen. Wir müssen die Band eine Zeit liegen lassen, damit sie selbst und auch der Wille wächst, wieder zusammen zu kommen. Während der Zeit im Studio und mit der Band verliert man so leicht den Faden zu sich selbst, zu seiner Familie, Freunden und so weiter. Wir werden den Fokus erstmal auf uns selbst als Personen richten. Das leitet uns im Endeffekt wieder zum Schreiben neuer Songs, denn dann haben wir etwas, worüber wir erzählen können.


Interview: Alex Beyer und Elli Eberhardt