Jede Rockstar-Karriere beginnt mit einer guten Geschichte. Sollte sie zumindest. Die Wohlstandskinder haben, was das angeht, einiges auf Lager, wenn nicht gar die Beste von allen. Honolulu Silver zum Beispiel, Sänger von Beruf und Frontmann aus Berufung, müsste eigentlich überhaupt nicht diesem trostlosen Rockstar-Geschäft nachgehen: Dank einer glücklichen Fügung und einer Menge Fortune als Jungunternehmer stellte er schon 1997 Unmengen von Einweg-Brillen für die bis auf weiteres einmalig veranstaltete Sonnenfinsternis her – zwei Jahre später, am 12. August 1999, also einen Tag nach der besagten Firmament-Konstellation, sah er sich um 57.851.281 DM reicher. Ein schönes Sümmchen. Oder Raki, der Bassist, Sohn eines Theologen und Hofnarrs sowie einer habsburgerischen Seidenstickerin: Der Mann hat studiert. Jurisprudenz, Delinquenz, Theodizee, Exorbitanz, Purismus, Metaheterosexualistik, Füsillade und Paradonthose. Zudem ist er, unter anderem, Ehrenvorsitzender der Deutschen Stenographiejugend, Präsident der A.G. Deutsche Junggärtner, Stellvertretender Leiter des Symposiums für angewandte Orgiastik und Souffleur im deutschen Bundestag. Ganz zu schweigen von Drummer Don Ludger de la Cardeneo, der als frühzeitig erglatztes Findelkind von seinem Friseursalon-betreibenden Vater verstoßen wird, in die Hände einer Rock’n’Roll-Mormonen-Sekte in Salt Lake City gerät und nach ausgiebiger Gehirnwäsche auf den alten Kontinent geschickt wird, um hier zu missionieren – was ja auch ganz hervorragend klappt. Und dann noch Saitengott Türk Travolta: die Reinkarnation der Coolness, der eigentliche Rock’n’Roll-Messias und, zumindest streiten darüber die Gelehrten, vielleicht so was wie der wahre Elvis. Mann, Mann, Mann.
Okay, wir geben’s zu: All das ist natürlich ausgemachter Unfug. Aber was wäre der Rock’n’Roll ohne seine Mythen? Das wussten auch schon die Wohlstandskinder, als sie 1995 zum ersten Mal gemeinsam in einen Proberaum gingen, um fortan alles zu geben, was sie haben. Also: Nichts. Der Anreiz waren – wie so oft – Mädchen. “Mit 15 willst du halt der Held für die ganzen 16-jährigen Bräute sein, und was funktioniert da besser, als Rockstar zu werden?” Leuchtet ein. Also färbten sie sich die Haare, schrieben schöne, wenngleich “ganz schön naive”, wie sie selbst sagen, Punkrock-Songs und lernten eines: Die Provinz tut gut. Im Bergischen Land, genauer: in Overath feilten sie an ihren Fähigkeiten, ließen keine Gelegenheit aus, vor einer Handvoll besoffener Landdeppen zu spielen und lernten, wie man eine richtig gute Band wird. “Wir sind sieben Jahre durch die Provinz getourt, haben in Orten gespielt, deren Namen man kaum aussprechen kann. Da lernst du: Wenn du lebend von der Bühne kommst, macht dich das nur härter”, sagt Honolulu Silver, der auch, wie die anderen drei, ein herzlich sympathischer, extrem motivierter junger Mann in den besten Zwanzigern ist. Es ging weiter: An die 300 Konzerte wurden gespielt, der hinterletzte Winkel des Landes aufgesucht, in dem sich noch ein bespielbarer Club finden ließ – weshalb sie, naheliegenderweise, ihr Oeuvre selbstkritisch “Provinzrock” schimpften. Bis ihnen in Bad Nauheim (wo auch sonst) Elvis erschien. Und mit auf den Weg gab: Ihr macht eure Sache gut, bloß nicht aufhören.
Sicher, das war eine Ochsentour, nicht immer einfach, streckenweise gar zäh. Dennoch sind sie sehr zufrieden mit der Entwicklung. “Der Zeitplan hätte kaum besser sein können. Alles ist langsam, aber stetig gewachsen – wir, die Größe der Clubs, die Verkaufszahlen der Platten, einfach alles”, sagt Silver. Dabei haben sie nichts geplant – außer eins: “Möglichst schnell immer die nächste Platte machen und schreiben, schreiben, schreiben. In jeder freien Minute haben wir neue Songs geschrieben.” Ist das manisch oder fleißig? “Eher fleißig. Es gibt einfach Phasen, da fliegt uns das zu. Die muss man nur festhalten.”
Fünf Mal in fünf Jahren enterten sie ein Studio, nahmen ein neues Album auf; anfangs gerade Mal an einem Wochenende, später dann hatten sie schier voluminöse zwei Wochen dafür Zeit. Zwischendurch gab es zudem immer wieder Singles, EPs, Versuche. Und vor allem und natürlich: Weiterentwicklungen. Ihr Business-technischer Begleiter auf all diesen Pfaden war das liebreizende kleine Punklabel Vitaminepillen, das ihnen als Retter in der Not, Betreuer in allen Lebenslagen und ordentliche Homebase diente. Dabei stellten sich selbsternannte Szenekenner immer wieder die gleiche Frage: Was ist das, was die Wohlstandskinder da machen? Punk? Ska? Oder gar Pop? Wer sie hört, riecht, schmeckt und live aufspielen sieht, findet die Antwort: Nichts ist egaler als das. Hauptsache, es macht Spaß, fühlt sich gut an und trifft den richtigen Ton. Und das tut es nun mehr denn je, da sie sich endlich zum nächsten Schritt entschieden und das längst überfällige Angebot eines veritablen Majors, in diesem Falle uns, angenommen haben: Willkommen zum Wohlstandskinder-eigenen ‚Popmassaker’. Was zeichnet dieses Popmassaker also aus? Sind es die Songs? Die Texte? Der Spaß? Die Echtheit? Die Attitüde? Das Gesamtkunstwerk? Sicher, das auch. Doch zuerst einmal ist es sicher das hier: Die Liebe zum schönen Pop, zur Melodie und ja, gerne auch zum süffisant angetäuschten Vollbrett-Schmackes. Natürlich hat sich vieles verändert bei ihnen seit den Anfangstagen: Mehr Intensität, mehr Reife, mehr Tiefgang. Keine konstruierte Cheesyness, sondern echte, gefühlte Harmonie. Honolulu Silver: “Es ist wie ein Spiegel: So lange du deine eigene Befindlichkeit, deine wahren Gefühle nach außen trägst, kannst du nichts falsch machen. Problematisch wird es erst, wenn du versuchst, Schönheit zu konstruieren – dann landest du bei Dieter Bohlen und den Superstars. Und nichts liegt uns ferner als das.” Dabei wirkt das alles so unbemüht und direkt, so klar und druckvoll, so ernsthaft und doch leicht, dass man sich fragt, warum das nicht auch andere können. Können sie nicht. Denn das ist der Wohlstandskinder größte Stärke: Die Musik, die Melodien, die Texte, dieses brillante Auf-den-Punkt-kommen wirkt so lässig rausgeschlackert wie ein guter Jokus im Angesicht des Todes. Daran trägt ein weiterer Könner klaren Mitverdienst: Superproduzent Olaf OPAL, sonst eher bekannt für die alternativ eigenbrötlerischen oder geradeaus powerpoppenden Momente des Landes zwischen Miles, Notwist, Readymade und Liquido. “Eine sehr glückliche Zusammenkunft”, befindet Honolulu Silver, denn: “Unsere Musik ist sehr anders als was er sonst so macht – doch gerade das war die Herausforderung. Für alle Beteiligten.” Zweifellos: Das Ergebnis gibt ihnen Recht.
Denn eines hört man nur zu deutlich: “Diese Band ist die perfekte Ehe, jeder ist gewachsen, musikalisch wie charakterlich. Inzwischen ergänzen sich unsere vier Charaktere absolut optimal, jeder kann sich voll und ganz ausleben, er selbst sein.” Es geht um die Balance zwischen traurigen und fröhlichen, zwischen zynischen und zweckoptimistischen Momenten: Selbst wenn die Texte (und auch die Melodien) einen nachdenklichen Grundtenor haben, sieht man immer Licht am Ende des Tunnels. Denn bei aller Bewusstmachung über die Probleme, Sorgen und Nöte des Alltags gilt am Ende doch die Erkenntnis: Schwermut führt zu nix. Es wird nichts besser, wenn die Blumen ewig Trauer tragen. Und wenn schon sonst nichts mehr hilft, gibt es immer noch die Albernheit. “Darin flüchten wir uns gerne, es kann ein unglaubliches Heilmittel sein. Denn wenn mal nichts funktioniert und du gerade keine gute Schwingung mit den anderen hast, hilft es ungemein, gemeinsam zu lachen. Besser kann man kaum zusammen finden.” Bleibt die Frage: Worum geht es ihnen? Was genau ist das Popmassaker? “Das muss man zweiteilen. Live geht es sicher nicht darum, die Jugend von heute anzuprangern oder weltverbesserische Gedanken ins Volk zu streuen. Es geht um den Spaß, es soll unterhalten, es muss schlicht und ergreifend rocken. Bei der Platte ist das was anderes: Da wünsche ich mir schon, dass man sich etwas aus den Texten ziehen und für sein eigenes Leben mit auf den Weg nehmen kann.” Denn sie haben eine grundlegende Mission: “Zu wissen, dass man etwas schafft, mit dem sich andere identifizieren können. Ob im Guten oder im Schlechten, spielt dabei überhaupt keine Rolle. Hauptsache, man findet etwas in uns, mit dem man sich auseinander setzen kann. Dann ist doch schon viel gewonnen.” So. Und jetzt seid ihr dran.
Honolulu Silver: Gesang, Gitarre
Don Ludger de la Cardeneo: Schlagzeug
Raki: Bass
Türk Travolta: Gitarre
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