Richard Ashcroft wirkt äußert entspannt, als er an diesem Nachmittag in Berlin Mitte über die Songs seines wunderbaren neuen Albums “Keys To The World” spricht. In grünem Polohemd und blauer Wollmütze gemütlich gekleidet, immer ein Lächeln und ein ehrliches “Thank You” für jede nur zu angebrachte Huldigung auf den Lippen, sitzt er in einem nicht sonderlich bequem wirkenden Sessel an einem Beistelltischchen in der vordersten Ecke und kümmert sich nicht im Geringsten um den Rest des ansehnlich großen Doppelraums, dafür umso mehr um seine Musik. Die Statements zu den zehn Songs auf “Keys To The World” ausführlich im einzelnen…
Why Not Nothing
Der Songtitel spukt mir seit Jahren im Kopf herum, er ihn mich einfach nicht losgelassen – wie kann eine Frage aus nur drei Wörtern so stark sein? Ich suchte nur noch nach dem passenden Kontext und diese ganze Situation um Politiker, denen du kein Wort mehr glauben kannst. Die erste Zeile aus den Lyrics, “I ain’t got time for your politics, your masquerade, your Machiavellian tricks” – das wäre vermutlich genau das, was ich Tony Blair damals ins Gesicht gesagt hätte. Und ich bin jetzt zwar nicht hingebungsvoll Christ, aber dieser Missbrauch so friedvoller Ideen, das macht mir Angst. Was wäre also, wenn, wie im Film “Wag The Dog”, hinter all dem nichts zu finden ist?
Music Is Power
Der Song basiert auf einer Curtis Mayfield-Nummer und ist gewissermaßen die Antwort auf “Why Not Nothing”, damit dieser Song nicht ganz so nihilistisch wirkt. Wenn nun all das also nichts wert ist, woher nehme ich dann noch meinen Glauben? Er beruht auf meiner Frau und meinen Kindern, meiner Familie, aber noch darüber hinaus eben auf Musik und ihrer Kraft. Ich meine, das ist doch etwas Tolles an Musik – wenn sie dich berührt, fühlst du dich aufgehoben. Das ist wie bei “Lucky Man” [von “Urban Hymns” von The Verve, Anm. d. Red.] – diesen Song zu singen, das bringt alle Freude in mir an die Oberfläche.
Break The Night With Colour
Ein positiver Song, der wie “Why Not Nothing” ursprünglich aus der Zeit um 2002 herum stammt und das Durchbrechen von depressiven Momenten thematisiert. Die Zeile “I don’t wanna know your secrets” ist das Gegenbild zu den Beatles und ihrem “I wanna know your secrets”. Ich will von den Geheimnissen der Leute nichts mehr wissen. Jeder ist so glücklich, wenn er im Fernsehen auftauchen und jedem seine Geheimnisse erzählen kann. Man braucht sie nur in einen Raum zu sperren und schon erzählen sie einfach alles. Es wird Zeit, dass sich das ändert.
Words Just Get In The Way
Das ist einer der klassischsten Songs auf dem Album. Es geht um Situationen, in denen Worte einfach nicht mehr weiterhelfen, in denen es mehr braucht. “The bridge above the river is only the beginning of your fall” – man muss jemanden vielleicht irgendwann einfach auch festhalten, umarmen.
Keys To The World
Dieser Song ist mehr so in HipHop-Form entstanden, die Lyrics haben sich zur Musik ergeben. Eine der zentralen Figuren wurde von der Gesellschaft enttäuscht und schlägt sich nun durch alle Institutionen, bis er an dem Ort landet, der gemeinhin gern als “Rand der Gesellschaft” beschrieben wird. Nehme wir nun an, ich hätte die Schlüssel, um dort wieder wegzukommen, die Schlüssel zur Welt – aber was passiert dann? Für welche Welt wollen wir Menschen besser machen, sie vielleicht sogar heilen. Vielleicht werden wir enttäuscht sein, wenn wir diese Welt erleben.
Sweet Brother Malcolm
Das ist momentan vermutlich mein Lieblingssong auf der Platte, was den Text angeht. Den Charaktere in diesem Song stoßen Unglücke zu, und ich habe sie natürlich erfunden, da man sonst einfach zu sehr auf zu viele Menschen achten muss – und man so auch jeden Menschen auf sie projizieren kann. Mich haben all die Schreckensnachrichten schockiert, die man in den Medien verfolgen kann, und mit welcher blinden Wut über sie berichtet wird. Ich betrachte das Ganze wie aus der Vogelperspektive, sehe die Trucks mit ihren Satellitenschüsseln anrollen und schließlich wieder davonstürmen. Und wenn sie gehen, lassen sie die Menschen mit einem Leben aus Schmerz und Trümmern zurück. Die “floral tributes” als Trauerbekundung, die ich im Song anspreche, machen das Stück sehr britisch. Das gefällt mir, es ist gut, deine Heimat zu dokumentieren.
Cry Till The Morning
Dieser Song steht bewusst direkt vor “Why Do Lovers?” – es geht um den Beginn einer intensiven Liebe, und die Figuren bringen eine Menge Vergangenheit mit in die Beziehung. Anstatt sich nun die ganze Nacht lang zu lieben, müssen sie durch den Prozess, all das hinter sich zu lassen. Tränen sind nicht immer Tränen aus Schmerz, auch wenn das oft eine Rolle spielen wird – aber es ist auch Freude mit dabei.
Why Do Lovers?
Ein epischer Song. Oft angeln wir uns einen anderen Menschen mit Bullshit, mit Lügen, einer Facade – und es wird doch erst interessant, wenn diese Facade abgefallen ist und man sich in der wahren Beziehung findet. Warum machen wir das, diesen geradezu Shakespeare-haften Maskentanz? Was bleibt uns danach noch?
Simple Song
Diesen Song habe ich vor vielen, vielen Jahren geschrieben, und ich habe schon lange und immer wieder versucht, ihn auf einem Album unterzubringen, was nun endlich geklappt hat. Und ich liebe ihn. Es geht um den Kreis des Lebens, um die einfachen Dinge – auch wenn der Song selbst an und für sich musikalisch gar nicht mal so simpel angelegt ist.
World Keeps Turning
Ich wollte die Platte auf einer optimistischen Note enden lassen – dass es das jetzt noch nicht war, dass man nicht wieder drei Jahre bis zum nächsten Album wird warten müssen. Ich wollte, dass man sich nach dem Hören der Platte zurücklehnt und sich gut fühlt und bereit. Bereit vielleicht, die Platte noch einmal einzuhören. Aber es sollte eine abgeschlossene Reise sein.
Und ein “complete trip”, so Ashcroft im Original, ist “Keys To The World” wahrlich geworden. Richard Ashcroft bedankt sich, gibt die Hand und geht zum Fotoshooting nach nebenan.
Text: Friedrich Reip
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