Die Frage vor der ich bei Interviews und nach Vorträgen früher immer am meisten Angst hatte, war „Wofür brauchen zukünftig Musiker eigentlich noch Plattenfirmen?“ Als Antwort nuschelte ich als Universal Chef meist etwas von Leuchtturmfunktion der Marke, A&R-Kompetenz des Labels und die Notwendigkeit der Vorfinanzierung. Mir war wohl bewusst, dass die Erklärung aus Sicht eines Majors durchaus angreifbar war. Unter der breiten Aufstellung der Konzerne litt die Markenbildung, unter dem durch die Krise im Tonträgergeschäft zunehmenden Druck zum kurzfristigen Erfolg die A&R-Kompetenz. Mit der Digitalisierung wiederum würde der Bedarf an Vorfinanzierung drastisch abnehmen, das war damals schon klar.

Natürlich ist es für jeden Musiker schön, endlich ein paar Euro auf der Hand zu haben und so von Nebenjobs unabhängiger zu werden. Jedoch braucht er diese nicht wirklich um seine Musik hörbar zu machen. „Die Bands sind gut, die Songs sind gut und von mancher Aufnahmequalität sollten sich einige deutsche Glattbügelproduzenten mal eine Scheibe abschneiden. Die Auswahl wählte sich fast selber….“ schreibt Max Spallek in seinem Blog auf motor.de, nach der Sichtung von mehr als 850 MySpace Bands, die bei Motor FM auf die Playlist wollten. Bei weitem die meisten von ihnen hatten noch nie ein Tonstudio von innen gesehen. Im Programm des Senders funktionierten sie dennoch bestens. Bei der Hamburger Gruppe Museum diskutierten wir sogar, ob wir sie nicht gleich auf Heavy Rotation nehmen sollten. Im Sinne der Fairness und des Wettbewerbs entschieden wir uns dagegen.

Was bei unseren MySpace Bands aus der Not geboren ist, macht die Mehrheit der erfolgreichsten, deutschen Musiker bereits längst ebenso. Egal ob Ärzte, Xavier Naidoo oder Tote Hosen, keiner von ihnen ist mehr bei einer Plattenfirma. Sie nutzten zwar Plattenfirmen als Dienstleister, damit diese ihre CDs in die Läden tragen, aber alle Rechte und die totale Kontrolle bleibt bei ihnen. Die Krise der Musikwirtschaft spielt ihnen dabei in die Hände: Viele gute Leute verloren durch Kosteneinsparungen (in der Sprache von Boston Consulting und Co heißt das dann „Headcount-Reduction im Rahmen von Restrukturierungen“) ihre Jobs und sind nun als Promotionteams oder Marketingberater frei buchbar. Die Bands und Interpreten können sich somit ihre eigene Mannschaft für jede Veröffentlichung zusammenstellen, sich mit Leuten umgeben die sie ausgesucht haben, denen sie vertrauen.

Viva la Revolucion, man nennt das auch Selbstbestimmung. Die Kunst ist demokratisch geworden. Jeder kann produzieren, jeder kann kommunizieren. Das traditionelle Modell Plattenfirma hat sich überholt. Künstler brauchen Partner, die mit ihnen im Team arbeiten aber keine Firmen mehr, an die sie ihre Rechte vollumfänglich abtreten oder denen sie diese vermieten. Die Eingangs gestellte Frage, würde ich heute anders beantworten wie ihr seht!

Euer Tim